Rz. 5

Nach § 362 Abs. 1 S. 1 AO kann "der Einspruch […] bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch zurückgenommen werden". Die Rücknahme "des Einspruchs" setzt somit ein anhängiges Einspruchsverfahren voraus.

 

Rz. 6

Der Einspruch muss, um zurückgenommen werden zu können, zunächst einmal wirksam eingelegt worden sein. Auf seine Zulässigkeit oder (potenzielle) Begründetheit kommt es für die Rücknahme nicht an.[1] Vor der Einlegung des Einspruchs ist eine Rücknahme nicht möglich. Es kommt aber nach § 354 AO ein Verzicht auf den Einspruch in Betracht, sobald der mit dem Einspruch anfechtbare Verwaltungsakt bekannt gegeben wurde. Die wirksame Erklärung des Einspruchsverzichts führt dazu, dass kein zulässiger Einspruch mehr eingelegt werden kann.

 

Rz. 7

Die Anhängigkeit des Verfahrens darf vor der Erklärung der Rücknahme nicht durch die "Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch" entfallen sein. Die Entscheidung über den Einspruch kann nach § 367 Abs. 1 S. 1 AO durch eine Einspruchsentscheidung oder aber nach § 367 Abs. 2 S. 3 AO durch einen Abhilfebescheid erfolgen.

Die Einspruchsentscheidung kann nach § 367 Abs. 2b AO durch zurückweisende Allgemeinverfügung ersetzt werden.

Ein Abhilfebescheid beendet die Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens nur bei einer ersatzlosen vollständigen Aufhebung des Verwaltungsakts oder bei einer Vollabhilfe, also einer inhaltlichen Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts, die in vollem Umfang dem Rechtsschutzbegehren des Einspruchsführers entspricht.[2] Eine inhaltliche Teilabhilfe führt dagegen nicht zur Beendigung des Einspruchsverfahrens.[3] Vielmehr wird der geänderte Bescheid nach § 365 Abs. 3 S. 1 AO zum Gegenstand des weiterhin anhängigen Einspruchsverfahrens.[4]

 

Rz. 8

Die Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens wird nicht dadurch beendet, dass es nach § 363 AO ausgesetzt wird oder ruht.[5]

 

Rz. 9

Die Rücknahmeerklärung muss der Einlegungsbehörde "bis zur Bekanntgabe der Entscheidung""über den Einspruch" durch die Einspruchsentscheidung oder den Vollabhilfebescheid zugegangen sein.

Der Zeitpunkt der Bekanntgabe richtet sich nach § 122 Abs. 2 AO. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.

Die Rücknahme des Einspruchs kann demgemäß – unabhängig von einem früheren tatsächlichen Zugang der Entscheidung – bis zum Ablauf der Dreitagesfrist erfolgen.[6] Erfolgt der tatsächliche Zugang später, ist der spätere Zeitpunkt maßgeblich. In diesem Fall ist die Rücknahme bis zum Ablauf des Bekanntgabetags möglich.[7] Der Zugang eines Verwaltungsakts setzt dann nicht voraus, dass der Empfänger den Verwaltungsakt tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Es genügt vielmehr, dass er derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter Ausschluss unbefugter Dritter von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und die Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten auch erwartet werden kann.[8] In Zweifelsfällen hat nach § 122 Abs. 2 2. Halbs. AO die Finanzbehörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs der Entscheidung über den Einspruch nachzuweisen.

Bei förmlicher Zustellung der Entscheidung über den Einspruch nach § 122 Abs. 5 AO i. V. m. dem VwZG mit Zustellungsurkunde, mittels Einschreiben oder gegen Empfangsbekenntnis gilt die Dreitagesfiktion des § 122 Abs. 2 AO nicht. Vielmehr gilt die Entscheidung über den Einspruch im Zeitpunkt der Ausführung der tatsächlichen Zustellung als bekannt gemacht.[9]

 

Rz. 10

Hat die Finanzbehörde eine Frist bestimmt, bis zu der es dem Einspruchsführer möglich sein soll, bei Vermeidung der zugleich nach § 367 Abs. 2 S. 2 AO angekündigten Verböserung den Einspruch zurückzunehmen, ist die Finanzbehörde nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet, die selbst gesetzte Frist abzuwarten, bevor sie eine verbösernde Einspruchsentscheidung erlässt.[10]

 

Rz. 11

Wird eine bereits ergangene Einspruchsentscheidung im finanzgerichtlichen Klageverfahren isoliert aufgehoben und die Sache an die Finanzbehörde zurückverwiesen, ist das Einspruchsverfahren bis zur erneuten Entscheidung über den Einspruch durch die Finanzbehörde anhängig. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Rücknahme erfolgen.[11]

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