Einspruchsrücknahme am Zugangstag der verbösernden Entscheidung

Per Post übersandte Verwaltungsakte gelten am 3. Tag nach der Aufgabe als bekanntgegeben, es sei denn sie kommen später an. Das FG hatte über die Rechtzeitigkeit der Einspruchsrücknahme zu entscheiden, die am 4. Tag nach dem Versand der Einspruchsentscheidung erklärt wurde, demselben Tag, an dem der verbösernde Bescheid einging. 

Bei seinem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2012 passten dem Steuerpflichtigen zwei Dinge nicht: Das Finanzamt hatte die Anerkennung von Reisekosten als Werbungskosten sowie den Verlust aus Vermietung und Verpachtung versagt.

Einkommenssteuerbescheid mit Einspruch angegriffen

Daher ließ er von seiner Steuerkanzlei Einspruch gegen den Bescheid einlegen. Das Finanzamt beließ es nach Prüfung des Einspruchs nicht bei einer schlichten Ablehnung., sondern kündigte an, dass es darüber hinaus vorhat, die zu zahlenden Steuern noch zu erhöhen. Es wies darauf hin, dass der Einspruch zurückgenommen werden könne.

Einspruchsrücknahme als der Verböserungsbescheid wohl schon im Posteingang war

Die angekündigte verbösernde Einspruchsentscheidung wurde am 17.10.2019 per Post verschickt und ging im Steuerbüro am 22.10.2019 ein, wobei die genaue Zeit nicht ermittelt werden konnte. Am selben Tag, kurz vor 19 Uhr, wurde per Fax die Einspruchsrücknahme erklärt.

Streit um Rechtzeitigkeit des Einspruchs

Das Finanzamt hielt die Rücknahme für zu spät. Darüber entfachte sich der Rechtsstreit, der vom Niedersächsischen FG entschieden wurde. Die Problematik ist deshalb so spannend, weil es noch keine höchstrichterliche Entscheidung dazu gibt. Dementsprechend ist auch - wegen grundsätzlicher Bedeutung - die Revision zugelassen.

Innerhalb der 3-Tages-Fiktion hindert die Kenntnis von der Verböserung die Rücknahme nicht

Der BFH hat bislang nur die Frage entschieden, ob eine Rücknahme bei einem früheren Zugang und demzufolge der Kenntnis von der verbösernden Entscheidung innerhalb der 3-Tages-Fiktion (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) noch möglich ist. Das ist sie (BFH, Urteil v. 26.2.2002, X R 44/00).

Gleichbehandlung von Zugang innerhalb der drei Tage und danach

Das FG entschied sich für eine Gleichbehandlung der Situationen bei Zugang und Rücknahme innerhalb des 3-Tages-Zeitraums und außerhalb. Auch wenn das Schreiben später zugeht, soll der Betroffene wenigstens noch den Rest des Zugangstages Überlegungsfrist bzw. Gelegenheit zur Rücknahme haben.

Das Gesetz gibt vor, dass der Einspruch

            „bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch“

zurückgenommen werden kann (§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO).

Finanzgericht Niedersachsen stellt auf Ende des Zugangstages ab

Das FG Niedersachsen entschied sich dafür, nicht auf den stunden-, minuten-, sekundengenauen Zugang innerhalb des Tages abzustellen, sondern das Ende des Tages der Zustellung als maßgebliche Frist für die Einspruchsrücknahme anzunehmen.

Regelmäßige Beweislastentscheidungen sollen vermieden werden

Eines der Hauptargumente der Finanzrichter war von praktischer Art: Bei den meisten Konfliktfällen würde die Entscheidung über die Rechtzeitigkeit der Rücknahme auf eine Beweislastentscheidung hinauslaufen, so auch hier, wo der exakte Zeitpunkt, in dem das Finanzamtsschreiben die Steuerkanzlei erreichte, nicht mehr rekonstruiert werden konnte.

In der Revision, die die Finanzbehörde sicherlich einlegt, wird sich zeigen, ob der BFH dies genauso sieht.

(Niedersächsisches FG, Beschluss v. 14.6.2021, 9 K 168/20).
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Schlagworte zum Thema:  Steuerbescheid, Frist, Einspruch