Rz. 37

§ 850f ZPO regelt, wie und unter welchen Voraussetzungen der unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens zugunsten oder Zulasten des Schuldners nach oben oder nach unten korrigiert werden kann. Abs. 1 ist eine Schutzvorschrift für den Schuldner, hingegen sind Abs. 2 und 3 Schutzvorschriften für den Gläubiger.[1] Abweichend vom Wortlaut des § 850f ZPO ist für die Entscheidungen im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung nach der AO nicht das Vollstreckungsgericht auf Antrag, sondern die Vollstreckungsbehörde von Amts wegen zuständig.[2]

[1] Flockenhaus, in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 850f ZPO Rz. 1.
[2] Klein/Werth, AO, 16. Aufl. 2022, § 319 Rz. 19.

2.7.1 Härteklausel zugunsten des Schuldners (§ 850f Abs. 1 ZPO)

 

Rz. 38

Dem Schuldner kann gem. § 850f Abs. 1 ZPO aufgrund dreier möglicher Alternativen ein höherer Teil seines Arbeitseinkommens belassen werden, als dies nach §§ 850c, 850d, 850i ZPO angezeigt wäre. Dies ist zunächst der Fall, wenn der Schuldner nachweist, dass durch den ihm nach § 850c ZPO verbleibenden Anteil am Arbeitseinkommen sein und der Lebensbedarf derer, denen er Unterhalt schuldet, nicht gedeckt ist.[1] Maßstab ist hierbei der individuelle Sozialhilfebedarf nach dem zweiten Abschnitt des BSHG. Der notwendige Lebensunterhalt umfasst insbesondere Unterkunft, Ernährung, Kleidung, Körperpflegeprodukte, Hausrat, Heizung und Strom. Hohe Kosten für ein Altersheim o. Ä. fallen ebenfalls unter den notwendigen Lebensunterhalt.[2] Diese Vorschrift ist jedoch insofern eng auszulegen, als dass eine Pfändung nach §§ 850ff. ZPO stets Beeinträchtigungen mit sich bringt, sodass für § 850f Abs. 1 ZPO besondere Beeinträchtigungen vorliegen müssen.[3] Weiterhin kann dem Schuldner ein höherer Anteil des Arbeitseinkommens belassen werden, wenn besondere persönliche oder berufliche Bedürfnisse des Schuldners vorliegen. Hier kommen insbesondere Aufwendungen aufgrund von Krankheiten in Betracht.[4] Die Begleichung alter Schulden[5] sowie Kosten für teureren Wohnraum[6] sind regelmäßig keine besonderen Bedürfnisse i. S. d. Norm. Dem Schuldner kann außerdem mehr von seinem Arbeitseinkommen verbleiben, wenn ihn besonders hohe gesetzliche Unterhaltspflichten treffen. Dies kann sich aus der Zahl der Berechtigten oder der Höhe der notwendigen Aufwendungen ergeben. Zu beachten ist jedoch, dass der regelmäßige Unterhalt für bis zu fünf Personen bereits in der Berechnung nach § 850c ZPO berücksichtigt ist. Zu den erörterten drei Alternativen ist kumulativ zu beachten, dass der Erhöhung des pfändungsfreien Betrags keine überwiegenden Belange des Gläubigers gegenüber stehen dürfen. Diese lägen z. B. dann vor, wenn der Gläubiger durch eine Erhöhung selbst in eine Notlage geriete. Im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung können solche Belange nur dann vorliegen, wenn festgesetzte Zwangsgelder vollstreckt werden.[7]

[1] Koenig/Klüger, AO, 4. Aufl. 2021, § 319 AO Rz. 24.
[2] Herget, in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 850f ZPO Rz. 2.
[3] Beermann, in HHSp, AO/FGO, § 319 AO Rz. 74.
[5] Herget, in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 850f ZPO Rz. 4.
[6] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 319 AO Rz. 51.
[7] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 319 AO Rz. 53.

2.7.2 Klauseln zugunsten des Gläubigers (§ 850f Abs. 2, 3 ZPO)

 

Rz. 39

§ 850f Abs. 2 ZPO bestimmt, dass dem Schuldner weniger als der nach § 850c ZPO berechnete Betrag selbst verbleiben kann, wenn wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vollstreckt wird. Dies betrifft jedoch nur Forderungen aus den §§ 823ff. BGB. Steuerforderungen aus einer Steuerhinterziehung u. Ä. stellen nämlich keine unerlaubte Handlung i. S. d. Norm dar. Wegen einer solchen Forderung kommt also keine Herabsetzung des nach § 850c ZPO berechneten Anteils am Arbeitseinkommen, der dem Schuldner verbleibt, in Betracht.[1]

 

Rz. 40

Für den Fall, dass der Schuldner mehr als 4.298,81 EUR im Monat, 989,21 EUR in der Woche oder 197,67 EUR am Tag verdient, kann, falls nicht wegen einer schon nach §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO privilegierten Forderung vollstreckt wird, der pfändbare Betrag ohne die Grenzen des § 850c ZPO festgesetzt werden.[2] Dies gilt allerdings nur, wenn dem Schuldner mindestens so viel an Arbeitseinkommen verbleibt, wie ihm nach § 850c ZPO verbliebe, wenn er 4.298,81 EUR (Monat), 989,21 EUR (Woche) bzw. 197,67 EUR (Tag) verdiente. Zudem muss eine Abwägung der Interessen von Schuldner und Gläubiger vorgenommen werden, die dazu führt, dass besondere Gründe im konkreten Einzelfall für die Besserstellung des Gläubigers sprechen. Hierfür ist es keinesfalls ausreichend, dass durch die Herabsetzung des pfändungsfreien Betrags die Pfändung erst ermöglicht bzw. beschleunigt wird. In Betracht kommt eine Anwendung dieser Regelung etwa dann, wenn der Gläubiger ansonsten selbst in Not geriete oder er wegen einer Forderung vollstreckt, die einen besonders schutzwürdigen Bedarf decken soll.[3] Im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung nach der AO liegen solche Belange nur höchst ausnahmsweise vor.[4]

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