Rz. 110

Da die Ahndung steuerlicher Delikte die Besteuerung unterstützt, besteht insoweit Offenbarungs- und Verwertungsbefugnis.[1] Hingegen ist die Offenbarung oder Verwertung zur Verfolgung nichtsteuerlicher Delikte an einschränkende Voraussetzungen geknüpft. Die wissende Behörde ist dann zur Offenbarung oder Verwertung befugt, wenn für die außersteuerliche Strafverfolgung bedeutsame Erkenntnisse (sog. Zufallsfunde) nicht im steuerlichen, sondern im steuerstrafrechtlichen Bereich erworben worden sind, weil der Betroffene dann schon die Rechte eines Beschuldigten gehabt hat, insbesondere darüber belehrt worden ist, dass er in Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit weder mitwirkungs- noch auskunftspflichtig ist. Umgekehrt darf nicht offenbart bzw. verwertet werden, was der Betroffene ohne Kenntnis von der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens offenbart hat oder was sonst vor der Einleitung bekannt geworden ist.

Sind die Tatsachen dem Amtsträger bereits vor der Einleitung eines steuerlichen Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt geworden (z. B. dem FA im Rahmen einer Außenprüfung), so sind sie von einer Offenbarung oder Verwertung zur außersteuerlichen Strafverfolgung[2] grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme hiervon besteht in den Fällen, in denen eine nichtsteuerliche Straftat in Tateinheit[3] mit einer Steuerstraftat begangen wird (z. B. Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung); dann ist die Offenbarung oder Verwertung hinsichtlich des nichtsteuerlichen Delikts nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulässig.[4] In Fällen der Tatmehrheit[5] besteht die Offenbarungs- oder Verwertungsbefugnis für die Verfolgung der außersteuerlichen Straftaten dagegen m. E. nur unter den Voraussetzungen von § 30 Abs. 4 Nr. 4 oder 5 AO.[6] Vom Stpfl. selbst offenbarte Tatsachen darf die Finanzbehörde sogar nur dann weitergeben, wenn er zzt. seiner Offenbarung die Einleitung des steuerlichen Straf- oder Bußgeldverfahrens gekannt hat. Dabei ist der vom Gesetz verwendete Begriff des Stpfl. zu eng, da der Geheimnisschutz auch für betroffene Personen eingreift, die im konkreten Verfahren nicht Stpfl. sind (vgl. Rz. 30). Für die Weitergabe oder Verwertung von Äußerungen anderer Personen (z. B. Betriebsangehörigen, Geschäftspartnern) ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einleitung bedeutungslos. Hat jedoch ein anderer Mitwirkungspflichtiger als der Stpfl. die Tatsachen genannt, so muss sich der Schutz auch auf ihn beziehen.[7] Auch hier könnten sich für die Anwendung des nemo tenetur-Grundsatzes aber Anwendungsprobleme im Bereich des § 355 StGB ergeben.

In der Praxis wird die vom Gesetz vorgesehene, theoretisch denkbare Zuordnung von Auskünften aus der Zeit vor der Einleitung des Steuerstrafverfahrens (bzw. ihrer Mitteilung) oder der Zeit danach häufig schwierig sein. Sachverhalte eröffnen sich gerade aufgrund von Fragen und Ermittlungshandlungen häufig erst nach und nach. Hier verlangt es der Schutz des Betroffenen vor Nachteilen aus Äußerungen in rein steuerlichen Verfahren einerseits und das Interesse der Öffentlichkeit an einem Funktionieren der Steuerverwaltung andererseits, dass alle die Kenntnisse vom Steuergeheimnis geschützt werden, von denen auch nur Grundlagen vor der Einleitung des steuerlichen Straf- oder Bußgeldverfahrens bzw. ihrer Mitteilung bekannt geworden sind.

[2] Z. B. an oder durch die Staatsanwaltschaft; vgl. auch § 393 Abs. 2 AO; für andere Zwecke gilt § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO ohnehin nicht.
[4] Koenig/Pätz, AO, 4. Aufl. 2021, § 30 Rz. 157; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 163; Tormöhlen, in Gosch, AO/FGO, § 30 AO Rz. 108.
[5] Vgl. § 53 StGB.
[6] Ebenso Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 113; Koenig/Pätz, AO, 4. Aufl. 2021, § 30 Rz. 157; differenzierend Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 163; Tormöhlen, in Gosch, AO/FGO, § 30 AO Rz. 109.
[7] Ebenso Alber, in HHSp, AO/FGO, § 30 AO Rz. 183; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 174; Drüen, in Tipke/Kruse, AO, § 30 AO Rz. 114.

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