Rz. 38

Im Steuerrecht, dessen Steuerbelastungsentscheidungen und Tarifgestaltungen weitgehend vom Willen des Gesetzgebers abhängen, ist von einem strengen Gesetzesvorbehalt auszugehen.[1] Die allein ausreichende Grundlage für die Besteuerung i. S. d. Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) sind Gesetze im formellen Sinn und Satzungen.[2] Wegen des in der Besteuerung liegenden Grundrechtseingriffs gilt für die Auferlegung von Abgaben stets der Vorbehalt des Gesetzes. Soweit dem Gesetzesbegriff des § 4 AO jede Rechtsnorm genügt, kann dies nicht für das Gebot der Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung gelten. Demgemäß können, obgleich "Gesetze" i. S. d. § 4 AO[3], weder Rechtsverordnungen noch Gewohnheitsrecht den Anforderungen des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts genügen. Den Anforderungen an die Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung ist Rechnung getragen, wenn der Gesetzgeber durch formelles Gesetz die wesentlichen Bestandteile einer steuerlichen Belastung (Steuertatbestand, Steuerschuldner, Steuerbemessungsgrundlage und Steuertarif) regelt.[4]

 

Rz. 39

Eine Rechtsverordnung scheidet demgemäß als Rechtsgrundlage zur Festlegung von Steuertatbeständen aus.[5] Im Steuerrecht muss eine Verordnungsermächtigung selbstverständlich den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG genügen, also nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt sein. Das Maß der Bestimmtheit einer gesetzlichen Ermächtigung lässt sich nicht allgemein bestimmen, sondern hängt von der Eigenart des geregelten Sachbereichs, vom Umfang der Grundrechtsbeeinträchtigung und der Intensität der der Verwaltung eingeräumten Eingriffsbefugnisse ab.[6] Im Steuerrecht ist den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG für eine Verordnungsermächtigung genügt, wenn der steuerliche Belastungstatbestand – also Steuerschuldner, Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage und Steuersatz – im Parlamentsgesetz festgelegt ist.[7] Nur auf dieser Grundlage können die steuerlichen Verordnungsermächtigungen[8] und die darauf gestützten Verordnungen[9] weitere Detailregelungen treffen und ggf. unvollständige oder missverständliche gesetzliche Tatbestandsmerkmale ausfüllen.[10]

 

Rz. 40

Steuertatbestände können auch durch autonome Steuersatzungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts (Gemeinden, Gemeindeverbände, korporierte Religionsgemeinschaften) normiert werden, soweit diese auf einer hineichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen.[11]

 

Rz. 41

Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung erstreckt sich auch auf Steuerbefreiungen, -ermäßigungen und sonstige Steuervergünstigungen.[12] Weder Behörden noch Gerichte dürfen die Steuerschuld ohne gesetzliche Grundlage (begünstigend) herabsetzen.

 

Rz. 42

Schon wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) der Besteuerung sind Verträge sowie Vergleiche über Steueransprüche nichtig. Derartige Vereinbarungen ermöglicht insbesondere § 78 Nr. 3 AO nicht.[13] Auch die Billigkeitsmaßnahmen gem. §§ 163, 227 AO stehen unter dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung. Nur beim Vorliegen der dort umschriebenen Tatbestände dürfen solche Maßnahmen getroffen werden.[14]

[2] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 34 f.
[5] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 35, 37.
[9] Z. B. EStDV, ErbStDV, GewStDV, UStDV
[10] Ebenso Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 37.
[11] BVerfG v. 1.3.1997, 2 BvR 1599/89 u. a., HFR 1977, 512,
[14] Bedenklich BVerwG v. 18.4.1975, VII C 15.73, BStBl II 1975, 679.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge