Rz. 36

Die Hinterziehungszinsen richten sich nach Umfang und Dauer der Hinterziehung.

5.1 Umfang

 

Rz. 37

Umfang ist die Höhe der hinterzogenen Steuern, d. h. die Differenz zwischen dem Steuerbetrag, den die Finanzbehörde ohne Vorliegen der Steuerhinterziehung festgesetzt hätte, und dem Steuerbetrag, den sie festgesetzt hat. Die Höhe der hinterzogenen Steuern und damit der Differenz können nach § 162 AO geschätzt werden, auch wenn eine entsprechende Schätzung im Strafverfahren nicht möglich ist.[1] Der strafrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" gilt für den Umfang der Zinspflicht ebensowenig wie für die Feststellung der Steuerhinterziehung selbst; vgl. Rz. 22.

 

Rz. 38

Sind Steuern mit progressivem Tarif nicht allein wegen einer Steuerhinterziehung zu niedrig festgesetzt, so ist der Umfang des hinterzogenen Betrags und damit der Verzinsung problematisch. Ergibt z. B. eine Außenprüfung Mehrsteuern, die teilweise hinterzogen und teilweise nur leichtfertig verkürzt worden sind, so wäre es nicht gerechtfertigt, den vorsätzlich verkürzten Steuerbetrag von der Spitze der richtigen Besteuerungsgrundlagen her zu berechnen. Wie bei der Ermittlung der Verkürzung im Steuerstrafrecht[2] ist vom Kenntnisstand des Hinterziehers auszugehen. Zu berechnen ist also die Differenz zwischen dem ursprünglich tatsächlich festgesetzten Steuerbetrag und dem Betrag, der sich beim Wegdenken allein der Steuerhinterziehung, nicht auch der leichtfertigen Steuerverkürzung ergeben hätte.[3]

 

Rz. 39

Wird die durch die Aufdeckung der Steuerhinterziehung sich erhöhende Steuer aus anderen Gründen tatsächlich wieder ermäßigt, so wird zwar nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO die Verkürzung strafrechtlich nicht beeinträchtigt. Eine Verzinsung dieses Betrages nach § 235 AO scheidet jedoch aus, da eine wirkliche Hinterziehung von Steuern nicht vorliegt.[4] Die Regelung des § 370 Abs. 4 S. 3 AO ist eine Ergänzung des Verkürzungsbegriffes für rein strafrechtliche Zwecke. Diese am Schuldprinzip des Strafrechtes ausgerichtete Bestimmung passt nicht zur steuerlichen Zielrichtung des § 235 AO. Der Verzugszinscharakter der Hinterziehungszinsen[5] lässt das Schuldprinzip hier unanwendbar sein. Dies zeigt auch die Zinsschuldnerregelung des § 235 Abs. 1 S. 2 AO. Dies wird lediglich für solche Fälle der Aufhebung, Änderung oder Berichtigung von Steuerfestsetzungen begrenzt, die nach dem 29.12.1993 geschehen und nach Beendigung des Zinslaufes wirksam werden.[6]

[1] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 235 AO Rz. 6.
[2] Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rz. 37.
[3] FG Baden-Württemberg v. 13.10.2018, 13 K 1967/15, EFG 2018, 85; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 235 AO Rz. 10.
[4] BFH v. 26.2.2008, VIII R 1/07, BStBl II 2008, 659; offengelassen von BFH v. 12.10.1993, VII R 44/93, BStBl II 1994, 438; ebenso Gast-de Haan, wistra 1988, 298; a. A. Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 235 AO Rz. 10.
[5] Heuermann, in HHSp, AO/FGO, § 235 AO Rz. 20.
[6] Vgl. Abs. 3 S. 3; s. auch Rz. 49.

5.2 Zinslauf

 

Rz. 40

Die Dauer der Hinterziehung ist die zweite Grundlage der Verzinsung. Sie wird vom Gesetz als Zinslauf bezeichnet (Abs. 2, 3 S. 1).

5.2.1 Beginn des Zinslaufs (Abs. 2)

 

Rz. 41

Der Zinslauf beginnt grundsätzlich mit dem Eintritt der Verkürzung (Abs. 2 S. 1), also mit der Vollendung der Steuerhinterziehung bzw. der Erlangung des Steuervorteils. Dies ist vor allem bei der Festsetzung der zu niedrigen Steuer gegeben, und zwar auch bei einer vorläufigen oder Vorbehaltsfestsetzung.[1] Eine Festsetzung liegt mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids vor.[2] Bei der üblichen Übermittlung des Steuerbescheids durch die Post im Geltungsbereich der AO gilt der Bescheid mit dem 3. Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Erst mit dem Ablauf dieses Tages kann der Zinslauf beginnen.[3] In den Fällen der zu niedrigen Steuerfestsetzung ist allerdings Abs. 2 S. 1 Hs. 2 zu beachten, der den Beginn des Zinslaufes auf den Zeitpunkt des späteren Fälligwerdens verschiebt

 

Rz. 42

Wird eine Steuer wegen Nichtabgabe oder verspäteter Abgabe von Steuererklärungen nicht oder zu spät festgesetzt, so ist die Steuerhinterziehung in dem Zeitpunkt vollendet, in dem die Steuer bei Abgabe der Erklärung normalerweise festgesetzt worden wäre. Das ist spätestens beim grundsätzlichen Abschluss der Veranlagungsarbeiten (ohne Erledigung besonders gelagerter Fälle) in dem für den Steuerpflichtigen zuständigen Arbeitsbereich des FA anzunehmen.[4] Im Einzelfall können nähere Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass der Fall des Stpfl. mit einiger Sicherheit schon zu einem früheren Zeitpunkt veranlagt worden wäre.

Wird im Einzelfall wegen Nichtabgabe der Steuererklärung die Steuerfestsetzung aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen durchgeführt, so gilt der Zeitpunkt dieser Steuerfestsetzung bzw. der danach folgende Fälligkeitstag.

 

Rz. 43

Hat der Stpfl. keine Steuererklärung abgeben und ist deshalb eine Steuerfestsetzung unterblieben, so ist die Steuer zu dem Zeitpunkt verkürzt, zu dem die Veranlagungsarbeiten für das betreffende Kj. im Wesentlichen abgeschlossen si...

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