6.5.1 Allgemeines

 

Rz. 64i

Erfolgt bei unzutreffender LSt-Anmeldung keine Nachmeldung[1] oder kein Anerkenntnis[2] oder will die Finanzbehörde von der Anmeldung abweichen[3] , so muss sie, soweit der Arbeitgeber die LSt schuldet, einen Steuerbescheid[4] , soweit für die LSt gehaftet wird[5] , einen Haftungsbescheid nach § 191 AO erlassen. Des Weiteren kann auch im Fall der Nichtanmeldung der Lohnsteuer ein Nachforderungsbescheid nach § 167 Abs. 1 S. 1 AO ergehen.[6]

 

Rz. 64j

Für die Form des LSt-Haftungsbescheids ergeben sich keine Besonderheiten .[7] Gleiches gilt für die Bekanntgabe.[8] Die Zuständigkeit[9] für den Erlass des LSt-Haftungsbescheids ist nach § 42d Abs. 3 S. 2 EStG für das BetriebsstättenFA des Arbeitgebers gegeben.[10]

 

Rz. 64k

Da auf den Haftungsbescheid die Vorschriften über die Steuerfestsetzung nicht entsprechend anzuwenden sind[11], kann auch der LSt-Haftungsbescheid nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO erlassen werden.[12] .

 

Rz. 64l

Der sonstige Inhalt des LSt-Haftungsbescheids muss neben den allgemeinen Anforderungen[13] auch denen des § 42d EStG genügen. Wegen der notwendigen Trennung der Schuld- und Haftungsbeträge s. Rz. 64d. Für die Bestimmtheit des Haftungsbescheids reicht es aus, dass der Sachverhalt dargestellt wird, der zu Lohnzuflüssen führt und der Zeitraum der Lohnzuflüsse.[14]  Erforderlich ist insbesondere eine Darstellung der Ermessensgründe .[15]

[1] S. Rz. 64g.
[2] S. Rz. 64h.
[3] S. Rz. 64d, 64e.
[5] S. Rz. 64e.
[6] S. Rz. 64h.
[7] S. Rz. 15.
[8] S. Rz. 28.
[9] S. Rz. 14a.
[10] Gehm, StBp 2016, 315, 318.
[11] S. Rz. 14.
[12] S. Rz. 14; Diebold, BB 1978, 854, 858; Schwarz, DStR 1980, 480, 485.
[13] S. Rz. 16.
[14] Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl. 2016, § 191 Rz. 79; Gehm, StBp 2016, 315, 318 m. w. N.
[15] S. Rz. 64m, 37.

6.5.2 Ermessen bei der Lohnsteuerhaftung

6.5.2.1 Grundsatz

 

Rz. 64m

Eine Ausübung des Ermessens durch die Finanzbehörde kommt nur in Betracht, wenn der Haftungsanspruch nicht durch Anmeldung, Nachmeldung, Anerkenntnis oder Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts[1] festgesetzt wird. Ermessensabwägungen sind nur dann erforderlich, wenn bei Nachforderungen ein Haftungsbescheid ergeht.[2] Für die Ermessensausübung ist zu unterscheiden zwischen dem Handlungsermessen und dem Auswahlermessen .[3]

[1] S. Rz. 64c–64g.
[2] S. Rz. 64e.
[3] S. Rz. 36.

6.5.2.2 Handlungsermessen

 

Rz. 64n

Das der Finanzbehörde nach § 191 Abs. 1 AO eingeräumte Handlungsermessen[1] wird durch § 42d Abs. 5 EStG eingeschränkt. Hiernach ist von der Nachforderung abzusehen, wenn die Steuernachforderung oder die Haftungsforderung insgesamt 10 EUR nicht übersteigt (Bagatellgrenze).[2]  Soweit die Rechtsauffassung vertreten wird, dass § 173 Abs. 2 AO nicht direkt anwendbar ist[3] , muss der Rechtsgedanke dieser einschränkenden Regelung im Interesse des Rechtsfriedens zumindest im Bereich des Handlungsermessens berücksichtigt werden, wenn nach einem aufgrund einer LSt-Außenprüfung ergangenen Haftungsbescheid eine weitere Inanspruchnahme des Haftungsschuldners beabsichtigt ist.[4]

[1] S. Rz. 64k, 35, 41.
[2] Gehm, StBp 2016, 315, 318.
[3] S. Rz. 64p.
[4] Gehm, StBp 2016, 315, 318 m. w. N.

6.5.2.3 Auswahlermessen

 

Rz. 64o

Für die Auswahl zwischen mehreren Haftungsschuldnern s. Rz. 47. Die Finanzbehörde hat beim Zusammentreffen einer Arbeitgeberhaftung und der Haftung eines Dritten ihr Auswahlermessen zu begründen.[1]  Die Haftung für eine festgesetzte LSt-Haftungsforderung wird durch den Steuerabzugscharakter[2] nicht beeinflusst, sondern richtet sich nach den allgemeinen Haftungsnormen.[3]

§ 42d Abs. 3 EStG bestimmt, dass der haftende Arbeitgeber und der schuldende Arbeitnehmer (unechte) Gesamtschuldner sind.[4]  Daraus folgt das Auswahlermessen der Finanzbehörde zwischen den Gesamtschuldnern .[5] Die Ermessensausübung ist spätestens in der Einspruchsentscheidung zu begründen. )[6]

Die Formulierung des § 42d Abs. 3 EStG ist allerdings missverständlich . Die Regelung beschränkt nicht die ESt-Pflicht der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit gem.§ 2 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 19 EStG,odass die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch Ansatz der Einkünfte im ESt-Bescheid bzw. in einem ESt-Änderungsbescheid auch keine Ermessensentscheidung ist.[7]  Das Auswahlermessen besteht nur hinsichtlich einer LSt-Nachforderung vom Arbeitnehmer, wenn diese nicht ordnungsgemäß angemeldet worden ist. Diese Nachforderung vom Arbeitnehmer, die rechtlich der Festsetzung einer Vorauszahlung auf die ESt entspricht, ist ausgeschlossen, wenn für das betreffende Kalenderjahr eine ESt-Veranlagung durchgeführt worden ist.[8]

Für die LSt-Nachforderung beim Arbeitnehmer wird der Grundsatz, dass sich die Finanzbehörde im Rahmen des Auswahlermessens zunächst an den Steuerschuldner und nur sekundär an den Haftungsschuldner halten sollte[9], in den Fällen des Steuerabzugs vom Arbeitslohn und vom Kapitalertrag[10] umgekehrt.[11] Die Haftungsschuld überlagert praktisch an die Stelle der Steuerschuld. I. d. R. ist hier der Abzugspflichtige in Anspruch zu nehmen.[12]

§ 42d Abs. 3 S. 4 EStG bestimmt als verbindliche Regelung für die Ermessensausübung...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge