Rz. 28

Nach dem Wortlaut des Abs. 2 kann die Finanzbehörde an den Empfangsbevollmächtigten bekannt geben, solange sie die Gründe, die dies verbieten, nicht positiv kennt. Erforderlich ist positive Kenntnis; Kennen müssen reicht nicht aus. Hat die Finanzbehörde positive Kenntnis erlangt, ist es ohne Bedeutung, auf welche Weise diese Kenntnis erlangt wurde.[1]

Diese Regelung ist gerechtfertigt, da es jeder Beteiligte in der Hand hat, der Finanzbehörde z. B. von Meinungsverschiedenheiten oder seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft/Gemeinschaft Kenntnis zu geben und dadurch die Bekanntgabe an sich zu erreichen. Die Information der Finanzbehörde ist daher grundsätzlich eine Obliegenheit der Beteiligten.

Maßgebend ist die Kenntnis der für den konkreten Verwaltungsakt zuständigen Stelle, d. h. des Feststellungsfinanzamts. Kenntnis des Wohnsitzfinanzamts ist weder erforderlich noch ausreichend.[2] Maßgebender Zeitpunkt für die Kenntnis ist derjenige Zeitpunkt, zu dem der bekannt zu gebende Verwaltungsakt den Herrschaftsbereich der Finanzbehörde verlässt. Dies ist der letzte Zeitpunkt, zu dem die Finanzbehörde aufgrund ihrer Kenntnis den Bekanntgabevorgang noch beeinflussen kann.

 

Rz. 28a

Die Vorschrift bedarf jedoch einer Einschränkung, da sie sonst dem Grundsatz des § 88 AO widersprechen würde. Die Finanzbehörde muss daher in zumutbarem Umfang eigene Ermittlungen anstellen, wenn sie ernste Zweifel an der Zulässigkeit der Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten hat, etwa wenn sie Anzeichen von ernsthaften Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten bemerkt.[3] Die gleichen Grundsätze gelten, wenn die Finanzbehörde im Zweifel darüber ist, ob die Meinungsverschiedenheiten "ernstlich" sind. Da bei der Bekanntgabe an einen Bevollmächtigten immer das Risiko besteht, dass ein Beteiligter den Rechtsschutz verliert, ist in Zweifelsfällen an alle Beteiligten bekanntzugeben. Die Rechtsprechung fordert jedoch "positive Kenntnis" der Finanzbehörde, um die Bekanntgabe nach § 183 Abs. 1 AO auszuschließen.[4]

 

Rz. 28b

Der Kenntnis der Behörde vom Ausscheiden eines Beteiligten steht es gleich, wenn das Ausscheiden im Handelsregister eingetragen ist.[5] Diese Folge beruht nicht auf der Publizität des Handelsregisters[6], sondern auf der sich aus § 88 AO ergebenden Verpflichtung der Finanzbehörde, sich (zumindest) aus allgemein zugänglichen Quellen wie dem Handelsregister zu informieren. Insoweit ist es nicht sachgerecht, der Obliegenheit der Beteiligten Vorrang vor der Ermittlungspflicht des FA einzuräumen.[7] Ein Bestehen auf den Wirkungen der Bekanntgabe an den ausgeschiedenen Beteiligten, obwohl das FA die Tatsache des Ausscheidens mit leichter Mühe hätte ermitteln können und die Nichtkenntnis daher auf einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht beruht, wäre ermessensfehlerhaft.

 

Rz. 28c

Soweit die Finanzbehörde ohne Verstoß gegen ihre Ermittlungspflicht von einem der in Abs. 2 genannten Tatbestände nichts gewusst hat, und der betroffene Beteiligte unverschuldet nicht in der Lage war, der Behörde das Vorliegen eines der Tatbestände mitzuteilen, kann bei Versäumung einer Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 110 AO, in Betracht kommen.

[1] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 183 AO Rz. 118.
[3] Im Ergebnis ebenso Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 183 AO Rz. 121; a. A. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 183 AO Rz. 22; FG Düsseldorf v. 17.10.1984, VIII/II 163/79 F, EFG 1985, 218.
[6] So aber Lux, DStR 2006, 1968.
[7] AEAO, zu § 122 Rz, 2.5.5 S. 2 Buchst. a; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 183 AO Rz. 118; zweifelnd Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 183 AO Rz. 22.

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