2.1 Allgemeines

2.1.1 Systematische Stellung

 

Rz. 3

§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO erfasst Fälle, in denen ein Steuerbescheid (der Folgebescheid) von dem Regelungsgehalt eines anderen Steuerbescheids (des Grundlagenbescheids) abhängig ist und daher, wenn der Regelungsgehalt des Grundlagenbescheids geändert wird, angepasst werden muss. Der Regelungszweck der Vorschrift liegt darin, die Umsetzung des Inhalts des Grundlagenbescheids in den Folgebescheid sicherzustellen. Die Vorschrift ist daher immer dann anwendbar, wenn ein Folgebescheid den Inhalt des Grundlagenbescheids nicht richtig widerspiegelt. Der materiellen Richtigkeit des Folgebescheids wird Vorrang vor einer etwaigen Bestandskraft eingeräumt.

§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO regelt das Verhältnis zweier Bescheide zueinander, aber nur die Fälle, in denen diese beiden Bescheide nach dem Gesetz aufeinander aufbauen, also in dem Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid zueinander stehen (Rz. 11). Eine Beziehung zwischen zwei Steuerbescheiden, die nicht ein solches Verhältnis darstellt, fällt nicht unter § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO.[1]

 

Rz. 4

Nach der Legaldefinition des § 171 Abs. 10 AO liegt ein Grundlagenbescheid vor, wenn dieser Bescheid für die Festsetzung einer Steuer bindend ist. Bindend kann ein Bescheid nur sein, soweit sein Inhalt selbst bindend im Regelungsbereich des Bescheids festgestellt ist; der nicht bindend festgesetzte Inhalt eines Bescheids, insbesondere die Begründung, kann grundsätzlich nicht für einen anderen Bescheid bindend sein.[2] § 175 Abs. 2 AO enthält diesen Grundsätzen entsprechend mittelbar die Regelung, dass die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen eines Steuerbescheids grundsätzlich nicht bindend und daher nicht selbständig anfechtbar ist. Bindend und der Bestandskraft fähig ist nur der Ausspruch über die Höhe der Steuer, die sich aus den Besteuerungsgrundlagen ergibt. Anfechtbar ist daher nur diese Höhe der Steuer, wobei die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen inzident geprüft wird. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn aufgrund einer besonderen gesetzlichen Vorschrift Besteuerungsgrundlagen gesondert, und damit selbständig und der Bestandskraft fähig, festgestellt werden (Grundlagenbescheid). Bindend ist daher der Inhalt eines Bescheids nur, soweit dieser Inhalt zum Regelungsbereich des Bescheids gehört, also zu dem der Bestandskraft fähigen Ausspruch über die Rechtsfolge. Besteuerungsgrundlagen gehören nur in den Fällen der gesonderten Feststellung zu dem Regelungsbereich, über den bindend entschieden wird.[3]

 

Rz. 5

Für § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO bedeutet dies, dass der Folgebescheid nur zu ändern ist, soweit der Regelungsgehalt des Grundlagenbescheids geändert oder ein Grundlagenbescheid erstmals erlassen wurde; Änderungen, die nicht den Regelungsgehalt berühren, etwa bloße Änderungen bei den unselbstständigen Besteuerungsgrundlagen, genügen nicht.

 

Rz. 6

Allerdings kann im Steuerrecht auch bestimmt sein, dass der Grundlagenbescheid auch, oder nur, hinsichtlich bestimmter Besteuerungsgrundlagen, die nicht zum Regelungsbereich gehören, bindend ist. Eine solche Bindung kann nur aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschrift eintreten. Diese Fälle sind jedoch Ausnahmen und sehr selten. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ist dann unmittelbar nicht anwendbar. Regelmäßig enthält das Gesetz dann eine eigenständige Änderungsvorschrift, die in ihrer Struktur zwar § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ähnelt, jedoch nicht an den Regelungsgehalt anknüpft, sondern an unselbstständige Besteuerungsgrundlagen. Zu diesen Fällen Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, Vor § 179 AO Rz. 93.

[1] Zum Begriff "Grundlagenbescheid" Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 171 AO Rz. 174 sowie Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, Vor § 179 AO Rz. 79ff.; zum Begriff "Folgebescheid" Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 182 AO Rz. 2ff. Zur Anwendung des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO bei zusammengefassten Steuerbescheiden, die gegen Gesamtschuldner ergehen Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 155 AO Rz. 75. Zu einer Übersicht zu § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO Günther, DStZ 2019, 923.
[2] Vgl. zu diesen Fällen jedoch Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, Vor § 179 AO Rz. 93.

2.1.2 Sachlicher Geltungsbereich

 

Rz. 7

Nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO können Steuerbescheide erlassen, aufgehoben oder geändert werden.[1] Darüber hinaus ermöglicht die Vorschrift auch den Erlass, die Aufhebung oder Änderung, von steuerlichen Verwaltungsakten, die zwar keine Steuerbescheide sind, aber wie Steuerbescheide zu behandeln sind.[2] Es muss jedoch hinzukommen, dass dieser zu erlassende, aufzuhebende oder zu ändernde Bescheid ein "Folgebescheid" ist, d. h. ein Bescheid, der von dem Regelungsgehalt eines anderen Bescheids, des Grundlagenbescheids, abhängig ist. Folgebescheide können, wie sich aus § 182 Abs. 1 AO ergibt, Feststellungsbescheide, Steuermessbescheide, Steuerbescheide oder Steueranmeldungen sein. Die Vorschrift ist nicht nur in dem "zweistufigen" Verhältnis des Feststellungsbescheids...

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