Rz. 78

Grundsätzlich verstößt die Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO nicht gegen EU-Recht. Das Äquivalenzprinzip ist nicht verletzt, da für die Durchsetzung von Steueransprüchen, die auf grenzüberschreitenden Sachverhalten beruhen, die gleichen Regeln gelten wie für Ansprüche aufgrund rein nationaler Sachverhalte. Der Effektivitätsgrundsatz ist nicht verletzt, da eine Festsetzungsfrist von 4 Jahren sowie die Möglichkeit der Ablaufhemmung durch einen Antrag nach § 171 Abs. 3 AO dem Stpfl. genügend Zeit gewährt, die Verjährung etwaiger gegen die Finanzbehörde gerichtete Ansprüche zu verhindern.[1]

 

Rz. 79

In Sonderfällen kann sich jedoch aus dem EU-Recht eine besondere Anlaufhemmung ergeben, sog. Emmott’sche Fristenhemmung.[2] Trotz Ablaufs der Festsetzungsfrist kann zugunsten des Stpfl. noch eine erstmalige Steuerfestsetzung, eine Änderung oder Aufhebung der Steuerfestsetzung nach den Grundsätzen der Emmott’schen Fristenhemmung erfolgen. Danach stehen innerstaatliche Fristenregelungen, also auch die Festsetzungsfrist, einer Änderung von Steuerbescheiden nicht entgegen, wenn ein Mitgliedstaat eine Richtlinie der EU nicht fristgerecht in innerstaatliches Recht umgesetzt hat und dadurch für den Stpfl. innerhalb der nationalen Fristenregelungen keine Möglichkeit bestand, eine Änderung der für ihn ungünstigen, auf nationalem Recht beruhenden Steuerfestsetzung zu erreichen. Wird dann die EU-Richtlinie umgesetzt, kann der Stpfl. trotz Ablaufs der Festsetzungsfrist die Änderung der Steuerfestsetzung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO beantragen.[3] Dies setzt jedoch besondere Umstände voraus, insbesondere dass der Stpfl. vor der Umsetzung der Richtlinie keine Möglichkeit hatte, seine Rechte zu wahren. Ein solcher Fall kann vorliegen, wenn die Finanzbehörde den Stpfl. veranlasst hat, von einer Klage auf Anwendung der unmittelbar anwendbaren Richtlinie abzusehen. Hat der Stpfl. dagegen die Möglichkeit, durch einen Antrag den Ablauf der Festsetzungsfrist zu verhindern oder auf die Steuervergünstigung, die aufgrund der Richtlinie gewährt werden muss, zu klagen, tritt die Fristenhemmung wegen unterlassener Umsetzung der Richtlinie nicht ein. Das gilt selbst dann, wenn die Kommission gegen den Staat ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der fehlenden Umsetzung der Richtlinie eingeleitet hat.[4]

 

Rz. 80

Die Emmott’sche Fristenhemmung gilt jedoch nicht, wenn die EU-Richtlinie zwar umgesetzt, aber von den innerstaatlichen Gerichten unrichtig ausgelegt und angewendet wird. Dann hat der Stpfl. die Möglichkeit, durch ein Gerichtsverfahren, letztlich durch den EuGH, die Rechtslage klären zu lassen; für eine Durchbrechung der innerstaatlichen Fristen besteht dann kein Anlass.[5] Gleiches gilt, wenn die Finanzverwaltung oder ein Gericht eine Entscheidung unter Verstoß gegen die Grundfreiheiten des EU-Vertrags trifft. Der Stpfl. kann hiergegen mit den zugelassenen Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln vorgehen. Versäumt er die dafür vorgesehenen Fristen, gewährt ihm das Europarecht gegen diese Fristversäumung keinen Schutz.[6]

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