Rz. 188

Liegen die Voraussetzungen für eine Billigkeitsmaßnahme aus Gründen der sachlichen oder persönlichen Billigkeit vor, liegt die Entscheidung hierüber im Ermessen der Finanzbehörde. Allgemein zu Ermessensentscheidungen vgl. § 5 AO Rz. 1ff. Das Ermessen erstreckt sich sowohl auf die Frage, ob eine Billigkeitsmaßnahme ergriffen werden soll (Entschließungsermessen), als auch darauf, welche von mehreren geeigneten Billigkeitsmaßnahmen ergriffen werden bzw. in welcher Höhe eine abweichende Steuerfestsetzung vorgenommen werden soll (Auswahlermessen).

 

Rz. 189

Die Finanzbehörde muss ihre Entscheidung unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Ausnutzung des ihr eingeräumten Ermessensspielraums treffen. Eine Ermessensentscheidung ist grundsätzlich fehlerhaft, wenn ihr nicht zumindest zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ein vollständig und zeitnah ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt.[1] Allerdings trifft den Stpfl. eine gesteigerte Mitwirkungspflicht. Er kann die Finanzbehörde nicht auf den Amtsermittlungsgrundsatz verweisen, wenn er selbst seine Mitwirkungspflicht verletzt hat (Rz. 187). Für die Ausübung des Ermessens können Ermessensrichtlinien erlassen werden; hierzu Rz. 220. Lehnt die Finanzbehörde jedoch eine Billigkeitsmaßnahme allein deshalb ab, weil die einschlägige Ermessensrichtlinie eine Billigkeitsmaßnahme in diesem Falle nicht vorsehe, liegt ein Ermessensfehler in der Form einer Ermessensunterschreitung vor, weil die Finanzbehörde nicht geprüft hat, ob außerhalb der Ermessensrichtlinie eine Billigkeitsmaßnahme zu ergreifen ist.[2]

 

Rz. 190

Bei Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme aus persönlichen Billigkeitsgründen ist die Entscheidung nicht allein deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Behörde sich nur mit der Würdigkeit für eine Billigkeitsmaßnahme beschäftigt und diese verneint hat, nicht aber mit der Bedürftigkeit, und umgekehrt. Da eine Billigkeitsmaßnahme nur möglich ist, wenn beide Merkmale (kumulativ) vorliegen, ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde eine Billigkeitsmaßnahme ablehnt, weil eines der Merkmale nicht vorliegt, ohne zu dem zweiten Merkmal Stellung zu nehmen.[3] M. E. ist dieser Rechtsprechung in dieser rigiden Form nicht zu folgen. Die Ermessensentscheidung muss immer auf einer Gesamtsicht der Verhältnisse beruhen. So kann eine zweifelhafte Würdigkeit durch eine besonders stark ausgeprägte Bedürftigkeit kompensiert werden und umgekehrt. Nur eines dieser Merkmale in die Entscheidung einzubeziehen dürfte nur dann ermessensgerecht sein, wenn es nach den Umständen des Falls ausgeschlossen erscheint, dass eine Einbeziehung des jeweils anderen Merkmals zu einer anderen Ermessensentscheidung führen würde.

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