Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlende Erlaßwürdigkeit wegen schuldhaft verspäteter Abgabe bzw. Nichtabgabe von USt-Erklärungen; Notlage des Steuerpflichtigen

 

Leitsatz (NV)

1. Die schuldhaft verspätete Abgabe bzw. die Nichtabgabe von Umsatzsteuererklärungen kann die Erlaßwürdigkeit ausschließen.

2. Steht die Notlage des Steuerpflichtigen nicht im Zusammenhang mit den USt-Festsetzungen und hat der Steuerpflichtige nicht dargetan, daß ein Erlaß der USt als einzige Maßnahme der Billigkeit entspräche und damit ermessensfehlerfrei wäre, so braucht nicht entschieden zu werden, ob ein Billigkeitserlaß wegen Existenzgefährdung gefordert werden kann.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 277, 5

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) war in verschiedenen Städten als Gastwirt tätig. Die Umsatzsteuerjahreserklärungen 1973 und 1974 wurden nach zwischenzeitlichen Festsetzungen durch den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) vom Beschwerdeführer am 7. April 1976 abgegeben. Die Jahreserklärungen für die Jahre 1975 bis 1979 gab der Beschwerdeführer nicht ab. Daraufhin schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen unter Berücksichtigung der vorangemeldeten Beträge.

Im November 1986 beantragte der Beschwerdeführer Erlaß seiner Steuerrückstände. Die Beschwerde gegen den Ablehnungsbescheid des FA hatte u. a. insoweit Erfolg, als die Säumniszuschläge und der Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 1977 erlassen wurde. Im übrigen wies die Oberfinanzdirektion (OFD) die Beschwerde mit Bescheid vom 15. September 1987 zum einen mit der Begründung zurück, sachliche Unbilligkeit liege unbestritten nicht vor. Zum anderen scheitere ein Erlaß wegen Unbilligkeit aus persönlichen Gründen daran, daß der Beschwerdeführer nicht erlaßwürdig sei. Er habe durch bewußt oder grob fahrlässige Nichterfüllung seiner steuerlichen Pflichten gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen. Auch sei er seinen Zahlungsverpflichtungen seit 1973 nicht mehr pünktlich und vollständig nachgekommen. Daran ändere nichts, daß er zeitweilig seine laufenden steuerlichen Zahlungsverpflichtungen erfüllt und Rückstände abgebaut habe. Es sei zu berücksichtigen, daß es sich bei der Umsatzsteuer um eine Steuer handle, die vom Leistungsempfänger getragen und an den Unternehmer abgeführt werde, der diese lediglich treuhänderisch verwalte. Die Verwendung dieser Steuer für eigene Zwecke sei ein so schwerwiegender Verstoß gegen das Interesse der Allgemeinheit, daß eine zeitweise Erfüllung der steuerlichen Pflichten nicht dazu führe, daß der Beschwerdeführer die Erlaßwürdigkeit wiedererlange.

Zur Begründung seiner Klage, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat, trug der Beschwerdeführer vor, ohne den begehrten Erlaß sei seine wirtschaftliche Existenz gefährdet. Sein notwendiger Lebensunterhalt könne vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten bzw. eine weiterhin erforderliche Erwerbstätigkeit könne nicht aufgenommen werden. Im Erlaßverfahren seien seine Vermögensverhältnisse ermessensfehlerhaft nicht geprüft worden. Er beziehe lediglich Sozialhilfe.

Darüber hinaus habe er seine steuerlichen Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig nicht erfüllt. Trotz erheblicher persönlicher Schwierigkeiten habe er sich bemüht, die Rückstände abzutragen.

Mit Schreiben vom 14. Dezember 1987 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Prozeßkostenhilfe (PKH) und legte die gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 117 Abs. 2 und 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Beifügung eines Bewilligungsbescheids über Arbeitslosenhilfe vom 1. Oktober 1987 und eines Berechnungsbogens über Sozialhilfe vom 22. November 1987 vor.

Das FG wies den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Es führte aus, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Ablehnung des Erlasses sei aus den in der Beschwerdeentscheidung genannten Gründen nicht zu beanstanden.

Mit der Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, daß das FG ihm PKH für seine Klage gegen das FA wegen Erlasses der Umsatzsteuer für die Jahre 1973 bis 1979 aus Billigkeitsgründen versagt habe.

Zur Begründung verweist der Beschwerdeführer, wie schon im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung des Erlasses, darauf, daß die zeitweise Nichterfüllung seiner steuerlichen Pflichten unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Unerfahrenheit und seiner Sprachschwierigkeiten entschuldbar, bestenfalls leicht fahrlässig sei. Außerdem würde er bis an sein Lebensende von der Sozialhilfe abhängig, d. h. von einer selbstverantwortlichen und menschenwürdigen Existenz ausgeschlossen sein.

Mit Schreiben vom 15. August 1988 übersandte der Beschwerdeführer Unterlagen, aus denen sich nach seiner Meinung ergibt, daß er im Rahmen seiner Möglichkeiten Zahlungen geleistet habe.

Er beantragt, die PKH zu gewähren.

Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die vom Beschwerdeführer erhobene Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und daher die Bewilligung der PKH für den Kläger zu versagen ist (§ 142 Abs. 1 FGO, § 114 ZPO).

Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers, nach dessen Sachdarstellung und den vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder mindestens für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Dezember 1986 VIII B 115/86, BFHE 148, 215, BStBl II 1987, 217). Aus der Regelung in § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist zu entnehmen, daß der Antragsteller die hinreichende Erfolgsaussicht als Voraussetzung der Bewilligung einer PKH mit eigenen Angaben aufzuzeigen hat, und zwar durch Darlegungen, aus denen das Gericht erkennen kann, ob und in welchem Umfang die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozeßordnung, 46. Aufl., § 117 Anm. 2 C).

Diese Darlegungen müssen eine Nachprüfung der Ablehnung des Erlasses aus Billigkeitsgründen nach den bei einer Ermessensentscheidung (Beschluß des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GemS-OGB 3/70 (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603, unter III.) zu beachtenden Grundsätzen möglich machen. Eine Ermessensentscheidung könnte im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahingehend überprüft werden, ob die Ablehnung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Maßgebender Zeitpunkt hierfür sind, wenn die Steuer noch nicht entrichtet ist (vgl. BFH vom 26. Februar 1987 IV R 298/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612, 615), die tatsächlichen Verhältnisse beim Erlaß der Beschwerdeentscheidung (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. Urteil des BFH vom 31. März 1976 I R 51/74, BFHE 118, 537, BStBl II 1976, 499, unter 1 Buchst. b).

Bei der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ergibt die Ablehnung des Erlasses im Streitfall weder eine Ermessensüberschreitung noch einen Ermessensfehlgebrauch.

Sie ist nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil sie lediglich auf das Fehlen der Erlaßwürdigkeit gestützt wird (vgl. BFH vom 4. Juli 1986 VII B 56/86, BFH/NV 1987, 20, 22). Der Erlaß aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt Erlaßbedürftigkeit und Erlaßwürdigkeit voraus (Tipke /Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 227 AO 1977 Tz. 42). Nur die Erfüllung beider Voraussetzungen ließe die Einziehung der Steuer im Streitfall als unbillig erscheinen. Deshalb reicht für die Ablehnung eines Erlasses bereits die Verneinung einer Voraussetzung, d. h. hier der Erlaßwürdigkeit, aus (vgl. v. Wallis in Hübschmann / Hepp /Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 227 AO 1977 Anm. 9 und 13).

Der Beschwerdeführer macht gegen die Ablehnung des Erlasses im wesentlichen geltend, daß in dem Ablehnungsbescheid seine existentiellen Nöte und sein Bemühen um die Erfüllung der steuerlichen Pflichten nicht zutreffend gewürdigt worden seien. Nur mit dem Vorbringen zur Erfüllung steuerlicher Pflichten bezieht sich der Beschwerdeführer auf die Voraussetzung der Erlaßwürdigkeit.

Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Darlegung im Verfahren auf Bewilligung der PKH ausreicht und ob die im räumlichen Zusammenhang mit dem Antrag auf PKH erfolgte Klagebegründung zur Ergänzung herangezogen werden kann (vgl. BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV B 9/86, BFH/NV 1986, 762, unter 1. b). Selbst unter Berücksichtigung dieser Darlegungen ist bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit des vom Kläger angestrebten Erfolges nicht erkennbar.

Erlaßwürdigkeit setzt ein Verhalten des Steuerpflichtigen voraus, das nicht in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt und bei dem die mangelnde Leistungsfähigkeit nicht auf einem Verhalten des Steuerpflichtigen selbst beruht (grundlegend BFH-Urteil vom 14. November 1957 IV 418/56 U, BFHE 66, 398, BStBl III 1958, 153). Nach den insoweit vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung wurden die Umsatzsteuerjahreserklärungen für 1973 und 1974 erst 1976 abgegeben. Für die Jahre 1975 bis 1979 hat der Beschwerdeführer keine Erklärungen abgegeben. Damit hat der Beschwerdeführer es versäumt, seinen Pflichten gemäß § 18 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1973 (UStG 1973 - § 18 Abs. 3 UStG 1980 -) und § 167 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. § 149 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nachzukommen.

Bei der hier gebotenen summarischen Prüfung erscheint die Ansicht nicht ermessenswidrig, der Kläger habe die Abgabe der erforderlichen Erklärungen schuldhaft unterlassen. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten familiären und anderen persönlichen (z. B. Sprach-)Schwierigkeiten rechtfertigen allenfalls eine spätere Abgabe, nicht aber die Nichtabgabe der Steuererklärungen.

Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, er habe sich um eine Begleichung seiner Steuerschulden bemüht und zeitweise auch alle laufenden Steuern bezahlt, läßt dieses Vorbringen nicht auf einen Ermessensfehler bei der Ablehnung des Erlasses schließen. Der Beschwerdeführer hat die Mittel für die von ihm an das FA abzuführende Umsatzsteuer von seinen Kunden über die Vereinnahmung des bürgerlich-rechtlichen Preises erhalten (vgl. BFH vom 9. Februar 1987 IV B 53/86, BFH/NV 1987, 488, 1. b am Ende). Führt der Beschwerdeführer diese vereinnahmte Umsatzsteuer nicht zum vorgeschriebenen Zeitpunkt (vgl. § 18 Abs. 3 UStG 1977) an das FA ab, verstößt er gegen die ihm vom Gesetzgeber auferlegten Pflichten. Sein Vorbringen, er habe sich um die Abführung der Steuer bemüht und dies sei ihm auch teilweise gelungen, entlastet ihn nicht. Das Gesetz verlangt die Bezahlung in voller Höhe, nicht die Bemühung oder die teilweise Bezahlung.

Soweit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu entnehmen ist, ihm sei die Abführung der Steuer zu den maßgeblichen Zeitpunkten aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich gewesen, fehlt es an einem substantiierten Vortrag. Weder hat er dargelegt, daß er dazu tatsächlich nicht in der Lage war, noch warum er dazu nicht in der Lage war. Der Hinweis auf wirtschaftliche Unerfahrenheit und Sprachschwierigkeiten reicht hierzu nicht aus. Wer sich im Geschäftsleben als Unternehmer betätigt, muß sich auch mit der damit verbundenen grundlegenden Pflicht, Umsatzsteuer abzuführen, vertraut machen.

Ob der Beschwerdeführer daneben einen Erlaß aus Billigkeitsgründen fordern kann, weil ohne einen solchen Erlaß seine Existenz gefährdet sei, braucht nicht entschieden werden. Der Beschwerdeführer bezieht nach seinem Vorbringen zwar Sozialhilfe und ist arbeitslos. Jedoch steht die Notlage, in der er sich befindet, nicht im Zusammenhang mit den Steuerfestsetzungen (die im wesentlichen auf seinen eigenen Voranmeldungen beruhen). Außerdem hat der Beschwerdeführer nicht dargetan, daß z. B. wegen seines Alters oder seiner persönlichen Erwerbsunfähigkeit (vgl. BFH in BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612, unter 2. b), ein Erlaß, d. h. das Erlöschen der Steuerschuld (§ 47 AO 1977), als einzige Maßnahme der Billigkeit entspreche und damit ermessensfehlerfrei wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Februar 1985 VII B 61/84, BFHE/NV 1986, 68, und vom 25. September 1985 VII B 31/85, BFH/NV 1986, 198). Das FA ist vielmehr verpflichtet, bei künftigen Vollstreckungsmaßnahmen der wirtschaftlichen Notlage des Beschwerdeführers, seinen Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit und seiner familiären Fürsorgepflichten, Rechnung zu tragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415954

BFH/NV 1990, 137

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