Rz. 102

Grundsätzlich liegt keine sachliche Unbilligkeit vor, wenn die Steuer aufgrund einer ungeschickten Vertragsgestaltung des Stpfl. entstanden ist.[1] Besteuert werden grundsätzlich die Verhältnisse des Stpfl., wie er sie tatsächlich gestaltet hat. Dass er sie anders, günstiger, hätte gestalten können, begründet keine sachliche Unbilligkeit. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn sich die Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts zuungunsten des Stpfl. auswirkt.[2]

 

Rz. 103

Ein Anwendungsfall der abweichenden Steuerfestsetzung aus Gründen der sachlichen Billigkeit liegt vor, wenn die steuerlichen Folgen einer geschäftlichen Maßnahme korrigiert werden sollen, die angesichts der Kompliziertheit des Steuerrechts ohne Korrektur zu untragbaren Ergebnissen führen würde. Voraussetzung für eine abweichende Steuerfestsetzung ist dabei, dass Manipulationen ausgeschlossen erscheinen, dass sich der Vorgang noch nicht (unkorrigierbar) ausgewirkt hat und dass sich die Beteiligten entschuldbar in einem Ausmaß über die steuerliche Behandlung geirrt haben, dass angenommen werden muss, dass sie bei Kenntnis der steuerlichen Folgen das Geschäft nicht abgeschlossen hätten. Diese Fälle sind von der älteren Rspr. durch Rückgängigmachen des Geschäftsvorfalles mit steuerrechtlicher (Rück-)Wirkung gelöst worden.[3] Allerdings stand diese Rspr. im Konflikt mit dem allgemeinen, von der Rspr. immer wieder betonten Grundsatz, dass die Besteuerung an tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge anknüpfe, die, wenn sie sich einmal ereignet haben, grundsätzlich ebenso wenig mit steuerlicher Wirkung ungeschehen gemacht werden können, wie umgekehrt Vorgänge für die Besteuerung fingiert werden dürfen.[4] Der Grund für das Zulassen des Rückgängigmachens von Geschäftsvorfällen mit steuerlicher Wirkung konnte daher nur in Treu und Glauben gefunden werden, wenn es im Einzelfall unbillig erschien, die steuerlichen Konsequenzen mit voller Härte eintreten zu lassen. Dann ist es aber systematisch richtiger, diese Fälle nicht durch Rückgängigmachen der Geschäftsvorfälle, sondern durch abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO zu lösen. Der BFH hat seine Rspr. zum Rückgängigmachen von Geschäftsvorfällen daher ausdrücklich aufgegeben.[5] Hierzu § 175 AO Rz. 71ff.

 

Rz. 104

Voraussetzung für eine abweichende Steuerfestsetzung ist auch in diesen Fällen, dass die allgemeinen Voraussetzungen der sachlichen Billigkeit erfüllt sind, d. h., dass die strenge Anwendung des Steuergesetzes im Einzelfall ungerecht wirkt und die Durchsetzung des Steueranspruchs daher gegen Treu und Glauben verstoßen würde (Rz. 99). Das ist der Fall, wenn die Beteiligten die steuerlichen Auswirkungen ihrer Dispositionen nicht übersehen haben und auch nicht übersehen konnten. Die Fehleinschätzung der steuerlichen Folgen muss unverschuldet sein. Verschulden kann vorliegen, wenn sich die Beteiligten bei erkennbar komplizierten steuerlichen Problemen nicht sachgerecht haben beraten lassen. Wissen und Fehler des steuerlichen Beraters sind dem Stpfl. dabei zuzurechnen.[6]

 

Rz. 105

Die gesetzlich eingetretene Steuerbelastung ist, soweit im Rahmen des § 163 AO möglich, dem Zweck der Billigkeitsmaßnahme anzupassen. Dem Stpfl. soll in erster Linie keine endgültige steuerliche Entlastung zukommen, wie sie bei einer optimalen Gestaltung der steuerlichen Verhältnisse vielleicht eingetreten wäre, sondern das Geschäft, das die untragbare steuerliche Belastung ausgelöst hat, soll neutralisiert werden.[7] Hat die Disposition des Stpfl. z. B. zu einer Entnahme geführt, so wäre die Steuer nicht niedriger festzusetzen (da dann die stillen Reserven endgültig aus der Besteuerung ausscheiden würden). Vielmehr kann der Entnahmegewinn als "Steuer erhöhende Besteuerungsgrundlage" i. S. d. § 163 AO erst später, bei endgültigem Ausscheiden des Wirtschaftsgutes aus dem Betriebsvermögen, zur Besteuerung herangezogen werden. Bilanztechnisches Mittel, um dies sicherzustellen, wäre die Einbuchung (Einlage) des Wirtschaftsgutes mit dem Wert, mit dem es vor der Entnahme zu Buche gestanden hatte.

Hat die Disposition des Stpfl. die Gewährung des sonst möglichen ermäßigten Steuersatzes nach § 34 EStG verhindert, kann die diesbezügliche Steuer nach § 163 AO entsprechend niedriger festgesetzt werden.

 

Rz. 106

Im Einzelfall können auch die Voraussetzungen der persönlichen Unbilligkeit vorliegen. Würdigkeit liegt dann vor, wenn sich die Beteiligten unverschuldet über die steuerlichen Folgen ihres Verhaltens getäuscht haben; die Bedürftigkeit ist im Einzelfall zu prüfen. Vgl. Rz. 175ff.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge