2.4.1 Allgemeines

 

Rz. 30

Nach dem Wortlaut des § 152 Abs. 1 S. 2 AO ist von der Festsetzung eines VZ abzusehen, wenn die Verletzung der Erklärungspflicht entschuldbar erscheint. Trotz der Formulierung "erscheint" ist der Finanzbehörde für die Beurteilung der Frage, ob schuldhaftes Verhalten vorliegt, kein Ermessensspielraum eingeräumt, sondern das Vorliegen des Verschuldens ist eine Rechtsfrage.[1] Mithin konnte eine Festsetzung eines VZ grundsätzlich nur dann in Betracht kommen, wenn ein Verschulden gegeben war.[2] Dies gilt allerdings nach der Neufassung des § 152 Abs. 2 AO nicht mehr. Bei einem Überschreiten der Fristen kann sich der Stpfl. nicht mehr exkulpieren.[3] Damit ist die Frage des Verschuldens nur noch in Ausnahmefällen von Bedeutung.[4]

 

Rz. 31

Die Entschuldigungsgründe, also die Umstände, die die Annahme des Verschuldens ausschließen, liegen im persönlichen Bereich des Erklärungspflichtigen, sodass ihn insoweit eine besondere Darlegungslast trifft.[5] Der Erklärungspflichtige muss zur Vermeidung eines VZ der Finanzbehörde die nicht aus den Akten ersichtlichen Gründe darlegen, aus denen sich ergibt, dass sein Versäumnis entschuldbar erscheint. Unterlässt der Erklärungspflichtige die Darlegung, kann die Finanzbehörde den VZ festsetzen, ohne zuvor Feststellungen zum Verschulden getroffen zu haben. Das ergibt sich auch (s. Rz. 32) aus der Gesetzesformulierung "von der Festsetzung … ist abzusehen, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint".[6]

 

Rz. 32

Die Formulierung "erscheint" hat zur Folge, dass die Finanzbehörde hinsichtlich der Entschuldigungsgründe keine abschließende Ermittlungspflicht trifft, sondern Zweifelsfälle im Bereich der Ermessensausübung großzügig zugunsten des Erklärungspflichtigen entscheiden und von der VZ-Festsetzung absehen sollte.[7] Schlüssiges Vorbringen muss die Finanzbehörde beachten und im Rahmen der Amtsermittlungspflicht Sachverhaltsfeststellungen treffen, da sonst die Ermessensausübung fehlerhaft ist.[8]

[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 152 AO Rz. 16.
[3] Klein/Rätke, AO, 17. Aufl. 2023, § 152 Rz. 18.
[4] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 152 AO Rz. 16ff.
[5] Volquardsen, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, Erl. zu § 88 AO; vgl. BFH v. 18.8.1988, V R 19/83, BStBl II 1988, 929; FG Baden-Württemberg v. 13.11.1998, 9 K 217/98, n. v.

2.4.2 Begriffsinhalt

 

Rz. 33

Das als Tatbestandsvoraussetzung für die VZ-Festsetzung erforderliche Verschulden betrifft die Versäumnis der Steuererklärungsfrist.[1] Es liegt vor, wenn der Erklärungspflichtige vorsätzlich oder fahrlässig pflichtwidrig gehandelt hat. Vorsatz erfordert, dass dem Erklärungspflichtigen seine Abgabepflicht und der Abgabetermin bekannt waren und er gleichwohl die Pflicht nicht oder verspätet erfüllt hat. Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn der Erklärungspflichtige Pflicht und Termin zwar nicht kannte, aber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und seiner persönlichen Verhältnisse die ihm zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat.[2]

 

Rz. 34

Dem Gesetz liegt hierbei ein subjektiver Verschuldensbegriff zugrunde, nicht der Verschuldensbegriff des BGB, der auf die allgemeine im Verkehr erforderliche Sorgfalt abstellt.[3] Abzustellen ist vielmehr auf das individuelle Verschulden jedes Erklärungspflichtigen.[4] Insoweit zeigt § 152 AO eine deutliche Parallele zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.[5] Bei beiden Vorschriften entfallen bei fehlendem Verschulden die aus der Fristversäumnis entstehenden rechtlichen Nachteile, d. h., faktisch tritt eine rückwirkende Fristverlängerung ein. Für die Prüfung der Verschuldensfrage kann deshalb auf die Grundsätze der Rspr. zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend zurückgegriffen werden.[6]

 

Rz. 35

Ein Rechtsirrtum über das Bestehen der Erklärungspflicht und den Abgabetermin, lässt das Verschulden dann entfallen, wenn der Irrtum für ihn unvermeidlich gewesen wäre.[7] Dies kann aber nur in Extremfällen denkbar sein, da der Stpfl. verpflichtet ist, sich über seine Rechtspflichten zu informieren, und ihm dies im Hinblick auf die kostenfreie Auskunftspflicht der Finanzbehörde[8] auch zumutbar ist. Die grundsätzliche Annahme des Verschuldens hindert aber nicht, den glaubhaften Rechtsirrtum im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen.

 

Rz. 36

Ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Verletzung der Erklärungspflicht entspricht i. d. R. einem vermeidbaren Verbotsirrtum, der die Verletzung nicht entschuldigt.[9] Ein Rückstand der Finanzbehörde bei der Bearbeitung der Steuererklärungen der vorhergehenden VZ oder gar anderer Stpfl. gibt dem Erklärungspflichtigen kein Recht auf eigenmächtige Fristübersch...

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