3.1 Allgemeines

 

Rz. 33

Die Rücknehmbarkeit eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts ist eingeschränkt; der Grundsatz des Vertrauensschutzes erhält Vorrang vor der materiellen Richtigkeit des Verwaltungsakts. Begünstigend ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt; zur Definition vgl. Rz. 18. Erfasst werden sowohl konstitutive begünstigende[1] als auch deklaratorische begünstigende Verwaltungsakte.[2]

Zu Beispielen für begünstigende Verwaltungsakte aus dem Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern vgl. AEAO, zu Vor §§ 130, 131 Nr. 2.

Nicht hierher gehört das Absehen von der Steuerfestsetzung nach § 156 Abs. 2 AO, das ebenso wie die Niederschlagung nach § 261 AO als interne Maßnahme der Verwaltung keine Außenwirkung entfaltet und damit kein Verwaltungsakt ist.

[1] Arg. § 130 Abs. 2 AO: "der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet".
[2] Arg. § 130 Abs. 2 AO: "der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil … bestätigt"; BFH v. 15.4.1997, VII R 100/96, BStBl II 1997, 787; zu den Begriffen vgl. Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 118 AO Rz. 12ff.

3.2 Rücknahme wegen sachlicher Unzuständigkeit, Nr. 1

 

Rz. 34

Eine Rücknahme wegen sachlicher Unzuständigkeit braucht nur in den Fällen zu erfolgen, in denen keine Nichtigkeit[1] eintritt. Zu den Folgen örtlicher Unzuständigkeit vgl. § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO, § 127 AO. Zugleich darf der Fehler in der Zuständigkeit nicht gem. § 127 AO unbeachtlich sein. Eine Rücknahme ist nur möglich, wenn die Behörde selbst sachlich unzuständig ist, nicht jedoch, wenn in der sachlich zuständigen Behörde ein unzuständiger Beamter den Verwaltungsakt erlassen hat[2]; in diesen Fällen ist der Verwaltungsakt der Behörde zuzurechnen und nicht rechtswidrig.

[2] Z. B. ein nach der Geschäftsverteilung mit der Sache nicht befasster Sachbearbeiter statt Sachgebietsleiter oder Vorsteher; vgl. Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 118 AO Rz. 18.

3.3 Rücknahme wegen Anwendung unlauterer Mittel, Nr. 2

 

Rz. 35

Die Anwendung unlauterer Mittel ermöglicht die Rücknahme immer dann, wenn diese Mittel für den Erlass des Verwaltungsakts nach dem tatsächlichen Ablauf des Entscheidungsprozesses bestimmend waren. Die Anwendung des unlauteren Mittels muss also kausal für den Erlass des Verwaltungsakts gewesen sein. Der Rücknahmegrund liegt daher nicht vor, wenn die Behörde die gleiche Entscheidung getroffen hätte, wenn die unlauteren Mittel nicht angewandt worden wären. Ohne Bedeutung ist es aber, wenn der Verwaltungsakt auch durch rechtmäßige Mittel hätte erwirkt werden können.[1] Zu beachten ist aber, dass die Anwendung des unlauteren Mittels zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führen muss. Ist der Verwaltungsakt trotz Anwendung unlauterer Mittel rechtmäßig, kommt eine Rücknahme gem. § 130 Abs. 2 AO nicht in Betracht. Die Tatsache, dass der Verwaltungsakt auch ohne unlautere Mittel hätte erwirkt werden können, ist aber im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen. Bei Ermessensentscheidungen genügt es, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde von anderen Ermessenserwägungen ausgegangen wäre, wenn die unlauteren Mittel nicht angewandt worden wären.

 

Rz. 35a

Die unlauteren Mittel brauchen nicht vom Begünstigten angewandt worden zu sein; das ergibt sich aus dem Formulierungsunterschied im Vergleich zum Rücknahmegrund der Nr. 3 und zu § 48 Abs. 2 VwVfG. Diese von dem Rücknahmegrund der Nr. 3 abweichende Regelung ist gerechtfertigt, weil unter dem Gesichtspunkt des ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns ein solcher Verwaltungsakt nicht aufrechterhalten werden kann. Die Rücknahme ist also nicht nur möglich, wenn der Begünstigte das unlautere Mittel selbst angewandt hat oder die Anwendung mit seinem Wissen und Wollen erfolgt ist, sondern auch, wenn es ohne oder gegen seinen Willen, auch von Personen, die nicht seine Vertreter sind, angewandt wurde. Im Rahmen der Ermessensentscheidung (vgl. Rz. 29) kann jedoch berücksichtigt werden, dass der Begünstigte nicht selbst das unlautere Mittel angewandt hat. Sofern ein Dritter die unlautere Handlung bewirkt, kann diese dem Stpfl. aber nicht ohne Weiteres zugerechnet werden. Eine Zurechnung kommt allerdings dann in Betracht, wenn der Stpfl. kraft überlegenen Wissens den gesamten Geschehensablauf beherrscht und somit eine Stellung hat, die einem mittelbaren Täter vergleichbar ist. Anders als für § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO ist nicht erforderlich, dass die unlautere Handlung vom Stpfl. selbst ausgeführt worden sein muss.[2]

 

Rz. 35b

Die unlauteren Mittel müssen vorsätzlich (d. h. auch bedingt vorsätzlich) angewandt worden sein.[3] Der Vorsatz braucht sich nur auf die Anwendung der Mittel, nicht auf den Kausalzusammenhang zu beziehen. Es ist also nicht erforderlich, dass der Täter wusste und wollte, dass die Behörde gerade (und nur) durch die unlauteren Mittel zum Handeln veranlasst werden wird.[4] Täter muss dabei nicht zwangsläufig der Stpfl. sein.

 

Rz. 36

Die Aufzählung der unlauteren Mittel in Nr. 2 ist nicht abschließend. Auch sonstige Fälle sind denkbar, die m...

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