Rz. 16

Hat die Finanzbehörde, bei der ein Schriftstück innerhalb einer Frist anzubringen ist, keine ausreichenden Vorkehrungen dafür getroffen, dass die Frist bis 24 Uhr ausgenutzt werden kann, so muss sie sich so behandeln lassen, als wäre die Frist eingehalten worden. Die Wahrung der Frist wird also nach dem Grundsatz von Treu und Glauben fingiert.[1] Einer Wiedereinsetzung nach § 110 AO und damit der Beachtung der formellen Voraussetzungen wie Antrag, Glaubhaftmachung und Einhaltung von Fristen bedarf es also nicht. Aus Sicherheitsgründen dürfte es in der Praxis zu empfehlen sein, dennoch einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen.

 

Rz. 17

Besteht nicht ein Spätdienst zur Entgegennahme von Schriftstücken, so muss die Behörde einen Briefkasten anbringen, der auch nach Dienstschluss zum Einwerfen zugänglich ist.[2] Ein besonderer Nachtbriefkasten, also ein Briefkasten, der die bis 24 Uhr von der nach 24 Uhr eingeworfenen Post trennt und nach Dienstschluss anstelle des Normalbriefkastens zu benutzen ist, muss deutlich kenntlich gemacht werden.[3] Steht nur der normale Briefkasten der Behörde zur Verfügung und wird die bis 24 Uhr eingehende Post von der später eingeworfenen nicht getrennt, so ist ebenfalls davon auszugehen, dass die Frist gewahrt worden ist. Nur insoweit ist es zutreffend, wenn die Behörde die bei der ersten Leerung am Morgen herausgenommenen Schriftstücke in solchen Fällen mit dem Eingangsstempel des Vortages versieht.[4] Beteiligte können nämlich auch ein Interesse daran haben, dass beim Einwerfen eines Schriftstücks nach Mitternacht der Leerungstag gestempelt wird.[5] Die Behörde hat an sich für eine Trennung zu sorgen. Sie hat im Fall des Unterlassens die für den Beteiligten jeweils günstigere Folge gelten zu lassen. Schwierigkeiten entstehen jedoch, wenn gegensätzliche Interessen mehrerer Beteiligter (z. B. Rangfolge im Recht nach Rangfolge im Eingang) betroffen sind.

Die Frist ist nicht gewahrt, wenn der Beteiligte auf eine Übung der Finanzbehörde vertraut, den Briefkasten erst am nächsten Morgen bei Dienstbeginn zu leeren, die Behörde die Leerung jedoch früher – nach 24 Uhr – vornimmt.[6] Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in solchen Fällen s. § 110 AO Rz. 2.

[1] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 108 AO Rz. 162, 165; BFH v. 22.10.1975, I R 214/73, BStBl II 1976, 76.
[3] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 108 AO Rz. 145; BAG v. 21.10.1963, 5 AZR 1/63, NJW 1964, 369.
[4] Ebenso Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 108 AO Rz. 145.
[5] Vgl. z. B. den Eingang einer Mitteilung nach § 46 Abs. 2 AO am 1. 1. eines Jahres.
[6] BFH v. 2.5.1969, III R 49/69, BStBl II 1970, 230.

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