1 Allgemeines

 

Rz. 1

§§ 92, 93 und 94 FGO regeln den wesentlichen Inhalt und Ablauf der mündlichen Verhandlung. Die mündliche Verhandlung bildet regelmäßig "den Kern des gerichtlichen Verfahrens …, der das Gesamtergebnis des Verfahrens … prägt."[1] Dies ergibt sich auch aus der Regelung des § 79 Abs. 1 S. 1 FGO, wonach der Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung abschließend erledigt werden soll.[2]

 

Rz. 2

Die mündliche Verhandlung im Finanzgerichtsprozess wird von folgenden Grundsätzen beherrscht, deren Einhaltung der Vorsitzende bei der Leitung der Verhandlung sicherzustellen hat:

  • Öffentlichkeit[3],
  • Mündlichkeit[4],
  • Amtsermittlungsgrundsatz[5],
  • Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme[6],
  • Grundsatz des rechtlichen Gehörs.[7]
[2] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 92 FGO Rz. 2.
[3] § 52 FGO i. V. m. §§ 169, 171b ff. GVG.
[4] S. § 90 FGO.

2 Verhandlungseröffnung, -leitung durch den Vorsitzenden, § 92 Abs. 1 FGO

 

Rz. 3

Gem. § 92 Abs. 1 FGO eröffnet und leitet der Vorsitzende die mündliche Verhandlung. Vorsitzender i. S. d. §§ 92, 93 FGO ist derjenige Richter, der in der jeweiligen Verhandlung tatsächlich vorsitzt. Wer für den Vorsitzenden Richter im statusrechtlichen Sinn vertretungsweise den Vorsitz führt und deshalb von §§ 92, 93 FGO erfasst wird, ergibt sich aus dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts und den senatsinternen Mitwirkungsplänen.[1]  Vorsitzender kann auch der Einzelrichter oder Berichterstatter sein.[2]

 

Rz. 4

Der Vorsitzende hat für einen ordnungsgemäßen äußeren Ablauf der mündlichen Verhandlung zu sorgen. Zu diesem Zweck eröffnet und leitet er die Verhandlung.[3]  Er erteilt den Mitgliedern des Gerichts und den Beteiligten das Wort und kann es ihnen auch entziehen.[4]  Er vernimmt Zeugen und Sachverständige und diktiert die Niederschrift über die Verhandlung. Er verkündet die Entscheidungen und schließt die mündliche Verhandlung.[5]  Die in diesem Zusammenhang vom Vorsitzenden getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen sind als prozessleitende Verfügungen nicht selbstständig anfechtbar.[6]  Der Vorsitzende nimmt während der mündlichen Verhandlung auch die sitzungspolizeilichen Aufgaben wahr.[7]

 

Rz. 5

Die sachliche Sitzungsleitung ist darauf ausgerichtet, ein effektives und zügiges Verfahren zur Wahrheits- und Rechtsfindung zu erreichen.[8]  Nach § 76 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Er hat die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern.[9]  Wesentlich ist dabei die Erörterung der Sache mit den Beteiligten.[10]

[1] Vgl. Erl. zu § 4 i. V. m. §§ 21f. GVG.
[8] Wendl, in Gosch, AO/FGO, § 92 FGO Rz. 10.

3 Ablauf der Verhandlung

3.1 Aufruf der Sache, § 92 Abs. 2 FGO

 

Rz. 6

Jede mündliche Verhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Unterbleibt der Aufruf oder erfolgt er unzureichend, liegt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör[1] vor, wenn ein Beteiligter deshalb an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hat. Mit dem Aufruf der Sache gibt das Gericht den Beteiligten gleichsam das "Startzeichen" zur Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.[2]  Hingegen dient der Aufruf der Sache nicht dazu, den Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens zu genügen. Es ist nicht erforderlich, dass jedermann weiß, wann und wo eine mündliche Verhandlung in welcher Sache stattfindet.[3]

 

Rz. 7

Aufgrund der Befugnis zur formellen Sitzungsleitung ist der Vorsitzende für den (mündlichen) Aufruf der Sache zuständig. Ab dem Aufruf durch den Vorsitzenden – im Gerichtssaal – kommt nur eine Vertagung, zuvor eine Aufhebung oder Verlegung des Termins in Betracht.[4]

 

Rz. 8

Was für einen ordnungsgemäßen Aufruf erforderlich ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Jedenfalls muss sichergestellt werden, dass alle zum Termin geladenen und erschienenen Beteiligten wahrnehmen können, dass jetzt in die mündliche Verhandlung eingetreten werden soll. Der Aufruf der Sache ist eine Pflicht des Gerichts gegenüber den anwesenden geladenen Parteien und Beteiligten, sie effektiv in die Lage zu versetzen, den Termin auch "wahrzunehmen". Das Gericht hat danach dem Geladenen den Beginn der mündlichen Verhandlung anzuzeigen.[5] Beispielsweise[6] kann der Aufruf der Sache wie folgt erfolgen:

  • durch die Aufforderung an die Anwälte der Beteiligten, mit ihren Ausführungen zu beginnen, falls diese an den Richtertisch "treten" und weitere Beteiligte nicht geladen sind,
  • durch den Aufruf im Verhandlungsraum, wenn alle Geladenen sich in diesem Raum gleichzeitig aufhalten können, und keine Gewohnheit besteht,...

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