Rz. 69

Abs. 3 i. d. F. durch das 2. FGOÄndG (Rz. 1) regelt nunmehr – anders als vorher – die ausdrückliche Bindung des BFH an die Zulassungsentscheidung des FG. Dies entspricht im Wesentlichen der bisherigen Rspr. Danach besteht die Bindung selbst dann, wenn das FG zu Unrecht einen Zulassungsgrund bejaht hat oder der Zulassungsgrund inzwischen (z. B. wegen Klärung der als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Rechtsfrage oder mangelnder Divergenz aufgrund einer Änderung der BFH-Rspr.) weggefallen ist, auch wenn die Revision deshalb keine Erfolgsaussicht hat.[1] Der BFH hat die Zulassungsentscheidung des FG nicht daraufhin zu prüfen, ob das FG zutreffend einen Zulassungsgrund angenommen hat.[2] Gegen die Zulässigkeit der Revision kann daher nicht eingewandt werden, das FG hätte die Revision mangels eines Zulassungsgrunds nicht zulassen dürfen.[3] Die bindende Zulassung eröffnet nach dem Grundsatz der Vollrevision die Revision in vollem Umfang, sofern die Zulassung nicht beschränkt ausgesprochen wurde.[4]

 

Rz. 70

Nach der bisherigen Rspr. des BFH zur FGO a. F. (bis 2000) besteht eine Bindung ausnahmsweise in dem praktisch kaum vorkommenden Fall[5] nicht, wenn die Zulassung offensichtlich gesetzwidrig bzw. das FG offensichtlich willkürlich verfahren ist.[6] Dies ist nicht bereits bei der fehlerhaften Verkennung der Zulassungsgründe der Fall, sondern nur dann, wenn das FG – bewusst oder unbewusst – von der BFH-Rspr. in Zulässigkeitsfragen hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde (Form, Frist, Vertretungs- und Begründungszwang) abweicht[7] oder wenn das FG die Revision für Streitjahre zugelassen hat, die nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde sind.[8]

An dieser Rspr. sollte – trotz des Wortlauts des Abs. 3 – festgehalten werden. Das FG kann den BFH nicht willkürlich zu einer Entscheidung zwingen und den Beteiligten die zweite Instanz eröffnen bzw. sie dem Revisionsrisiko aussetzen.[9] Aus Gründen der Rechtsmittelklarheit sollte die Ablehnung einer Bindung des BFH aber auf krasse Ausnahmefälle beschränkt sein. Der BFH geht allerdings davon aus, dass die frühere Rspr., wonach keine Bindung an eine offensichtlich gesetzwidrige Zulassung bestand, im Hinblick auf die geänderte Gesetzesfassung überholt ist[10]

 

Rz. 71

Die Zulassungsentscheidung kann für den BFH auch dann nicht bindend sein, wenn das FG die Revision gegen eine Entscheidung zugelassen hat, gegen die der Art nach die Revision überhaupt nicht statthaft ist, z. B. gegen einen Beschluss oder gegen einen Einzelrichter-Gerichtsbescheid nach § 79a Abs. 2, 4 FGO.[11] Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Revision[12] hat der BFH eigenständig zu prüfen, ob sie sich gegen eine der Revision der Art nach zugängliche Entscheidung richtet.

Die Revisionszulassung durch das FG erfordert eine ausdrückliche Zulassungsentscheidung im Entscheidungstenor oder in den Entscheidungsgründen. Der BFH hat in formeller Hinsicht zu prüfen, ob das FG tatsächlich die Zulassung der Revision ausgesprochen hat und ob die Zulassungsentscheidung formell wirksam ist. Sie muss z. B. von den Unterschriften der am Urteil mitwirkenden Richter gedeckt sein und darf sich nicht auf einem nicht von der Unterschrift umfassten Beiblatt befinden, wie dies bei einem anschließend an die Unterschriften nachgehefteten Formular der Rechtsmittelbelehrung der Fall sein kann.

 

Rz. 72

Sofern das FG die Revision nicht zulässigerweise auf abtrennbare Teile des Streitgegenstands bzw. bei verschiedenen Streitgegenständen auf einzelne Streitgegenstände beschränkt hat, ist die Revision nach erfolgter Zulassung in vollem Umfang (Vollrevision) zulässig.[13] Eine Bindung des BFH an den Zulassungsgrund besteht nicht. Die Revision kann auf jegliche verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Einwendungen gestützt werden. Auch bei einer nur auf Verfahrensmängel gestützten Revisionszulassung ist der Revisionskläger im Revisionsverfahren nicht auf die Geltendmachung von Verfahrensmängeln beschränkt; er kann auch materiell-rechtliche Einwendungen erheben. Macht er davon Gebrauch, hat auch der BFH das angefochtene FG-Urteil in vollem Umfang (auch materiell-rechtlich) zu prüfen.[14] Entsprechendes gilt, wenn die Revision z. B. auf Divergenz gestützt wird, der dargestellte Sachverhalt aber einen Verfahrensmangel ergibt.

Die Bindung des BFH an die Zulassungsentscheidung gilt selbstverständlich auch für den Fall, dass die Zulassung auf eine Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH ausgesprochen wurde.[15]

 

Rz. 73

Davon zu unterscheiden ist die Beschränkung der rechtlichen Prüfung durch den BFH in der Revision, wenn sich der Revisionskläger ausschließlich auf Verfahrensfehler stützt. Nach § 118 Abs. 3 FGO hat der BFH in diesem Fall nur über die gerügten Verfahrensmängel zu entscheiden, falls nicht zugleich ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (grundsätzliche Bedeutung) oder § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (Rechtsfortbildung, Sicherung der Rechtsprechungseinheit) vorliegt; s. Dürr, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 118 F...

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