Rz. 91

Eine Ausnahme von der umfassenden Geltung des § 88 AO enthält § 89 Abs. 2 AO für den Bereich der verbindlichen Auskunft.[1] Hier ist die Klärung des zu verwirklichenden Sachverhalts aber im Ergebnis nur vorverlagert und die Amtsermittlung durch die Pflicht des Stpfl. gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 StAuskV, den zukünftig zu besteuernden Sachverhalt bereits vor seiner Verwirklichung umfassend darzustellen, ersetzt.[2]

Eine weitere und den Amtsermittlungsgrundsatz stark einschränkende Ausnahme bildet die tatsächliche Verständigung. Diese kommt insbesondere auch im Interesse der Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns für nicht oder äußerst schwierig aufklärbare Sachverhalte im Interesse der Effektivität der Besteuerung und des allgemeinen Rechtsfriedens als Alternative zur weiteren Sachverhaltsaufklärung in Betracht.[3]

 

Rz. 92

Unberührt und durch § 88 AO auch rechtlich – im Ansatz – unterlegt, wenn auch nicht benannt oder konkretisiert, ist die Einschätzung, dass es in Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung unter bestimmten Voraussetzungen der Effektivität der Besteuerung und allgemein dem Rechtsfrieden diene, wenn sich die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und dessen Behandlung einigen können, die zur Entwicklung des Rechtsinstituts der tatsächlichen Verständigung durch den BFH führte.[4] Die gesetzlich nicht geregelte tatsächliche Verständigung ist eine in Fällen erschwerter Sachverhaltsaufklärung zulässige bindende Einigung der zuständigen Entscheidungsträger der Finanzbehörde einerseits und des Stpfl. andererseits über den für die Besteuerung maßgeblichen abgeschlossenen Sachverhalt im konkreten Besteuerungsverfahren.[5] Solche tatsächlichen Verständigungen sind aber stets nur bei Ungewissheit über den Sachverhalt möglich.[6] Eine Verständigung zwischen der Finanzbehörde und dem Stpfl. über die aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehenden Rechtsfolgen oder die Höhe der daraus zu entrichtenden Steuer wäre dagegen schlichtweg unzulässig.[7]

 

Rz. 93

In den einschlägigen Fällen erschwerter Sachverhaltsaufklärung dient das Instrument der tatsächlichen Verständigung der Effektivität der Besteuerung und dem Rechtsfrieden[8], bei gleichzeitiger Beschränkung des Arbeits- und Zeitaufwands auf ein vertretbares Maß.[9]

 

Rz. 94

Zu diesem sehr komplexen Rechtsgebilde vgl. im Einzelnen die Ausführungen zur Zulässigkeit der tatsächlichen Verständigung als Alternative zu Schätzungsfällen.[10]

[1] Klein/Rätke, AO, 17. Aufl. 2023, § 88 Rz. 10.
[2] Klein/Rätke, AO, 17. Aufl. 2023, § 88 Rz. 10 m. w. N.
[3] Drüen, in HHSp, AO/FGO, § 88 AO Rz. 182.
[5] Volquardsen, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 85 AO Rz. 35; G. Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 162 Rz. 164ff.; Koenig/Hahlweg, AO, 5. Aufl. 2024, § 88 Rz. 47ff.
[6] Roser, in Gosch, AO/FGO, § 88 AO Rz. 20; Koenig/Hahlweg, AO, 5. Aufl. 2024, § 88 Rz. 49 ff.; Offerhaus, DStR 2001, 2093.
[7] Koenig/Hahlweg, AO, 5. Aufl. 2024, § 88 Rz. 49; Baum, in eKommentar, § 88 AO Rz. 37; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 88 AO Rz. 20.
[9] Kritisch insoweit Koenig/Hahlweg, AO, 5. Aufl. 2024, § 88 Rz. 51.
[10] G. Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 162 AO Rz. 164ff.

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