Rz. 53

Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz lässt sich bereits als eine Spielart des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beschreiben, der zunächst einseitig den Aufwand aufseiten der Verwaltung ins Verhältnis zum zu erwartenden Ertrag setzt, andererseits aber natürlich auch eine synchron zu erbringende Mitwirkungshandlung und den damit verbundenen Aufwand aufseiten des Stpfl. bzw. des Mitwirkungspflichtigen nur dann erforderlich macht, wenn dies durch den damit verbundenen, nicht zwingend fiskalischen Erfolg gerechtfertigt erscheint.

 

Rz. 54

Nach dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz kann die Finanzbehörde von Ermittlungshandlungen absehen, wenn der voraussichtliche fiskalische Nutzen der Ermittlungshandlung außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Ertrag steht.[1] Danach darf die Finanzbehörde in Fällen mit geringen steuerlichen Auswirkungen partiell, aber nicht generell, auf Ermittlungen verzichten, da dies ein Verstoß gegen § 85 AO wäre.[2] Auch kann die Frage der steuerlichen Auswirkungen nicht auf eine profiskalische Betrachtung reduziert werden (Rz. 53). Anderenfalls würde die vom Objektivitätsgrundsatz gebotene (Rz. 21) Sachverhaltsprüfung auch zugunsten des Stpfl. torpediert.[3] Vielmehr wird bei Sachverhaltsermittlungen zugunsten des Stpfl. dem fiskalisch orientierten Wirtschaftlichkeitsprinzip ein deutlich gemindertes Gewicht gegeben werden müssen.

Die rein betriebswirtschaftliche Sicht, die auf die unterschiedlichen Ziele der Nutzenmaximierung, der Kostenminimierung und der Gewinnmaximierung gerichtet ist, verfängt im ordnungsrechtlich geprägten Aufgabenfeld der Finanzverwaltung nicht.[4] Um dies klarzustellen, sahen sich die Regierungsfraktionen gezwungen, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass ein Verfahrenskonzept, mit minimalem Verwaltungsaufwand maximalen fiskalischen Erfolg zu erzielen, nach dem neuen § 88 AO unzulässig ist.[5]

Von einem radikalen Standpunkt aus betrachtet, ist bereits das geltende Steuerrecht als unwirtschaftlich anzusehen, da es anders als in anderen Ländern – mit Ausnahme des Umsatzsteuerrechts – eine Selbstberechnung, Anmeldung und Abführung durch den Stpfl. nicht zulässt, sondern einen rechtsbestätigenden Akt der Steuerberechnung und -festsetzung vonseiten der Finanzbehörden erforderlich macht.

 

Rz. 55

Wo die Steuerlast bereits von dritter Seite durch Einbehalt der Lohn- oder KapESt getilgt ist und das Besteuerungsverfahren im Regelfall zu einer Steuererstattung führt, erweist sich das Ermittlungsverfahren, da ohne rein fiskalischen Nutzen, als unwirtschaftlich. In der Vergangenheit sind verschiedentlich Versuche unternommen worden, durch eine Ausschlussfrist im § 46 EStG a. F. in diesen Fällen die Durchführung von Besteuerungsverfahren zu vermeiden. Ein durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens[6] zuvorderst verfolgtes Ziel war es, die nach dem Gesetzmäßigkeits- und Gleichmäßigkeitsgrundsatz gebotenen Ermittlungsfelder durch technische Prüfungsmechanismen wie das Risikomanagementsystem[7] identifizieren zu können bzw. in Steuerfällen ohne einen derartigen Befund keine weiteren Ermittlungshandlungen mehr zu ergreifen. Für diese Fälle ist die Möglichkeit in § 155 Abs. 4 AO geschaffen worden, die Steuerfestsetzung vollautomatisch, also unter Verzicht auf weitergehende Ermittlungshandlungen, vorzunehmen, wodurch der Verwaltungsaufwand in diesen sog. "Autofällen" drastisch reduziert wird.

 

Rz. 56

Ausdrücklichen Niederschlag hat der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz in § 156 AO gefunden, nach dem eine Steuerfestsetzung oder eine Änderung unterbleiben darf, wenn die steuerliche Auswirkung einen Bagatellbetrag nicht überschreitet.

 

Rz. 57

Unklar ist indes, auf welcher Grundlage die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes erfolgen soll.[8] Fest steht, dass nicht näher verifizierte oder verifizierbare Annahmen und Vermutungen zur Höhe des entstehenden Verwaltungsaufwandes für den Verzicht auf Ermittlungshandlungen nicht ausreichen werden. Erforderlich wird sein, dass konkrete Vorstellungen zum Umfang der anstehenden Verwaltungstätigkeiten entwickelt werden müssen, die im Falle weitergehender Ermittlungshandlungen erforderlich würden, und die dann anhand von erhobenen oder ermittelten Verwaltungskosten (z. B. Personalkosten, Büropauschalen, Druck- und Kopierkosten) sowohl aufseiten des Stpfl., als auch aufseiten der Finanzbehörden beziffert werden müssen. Hier nur auf die steuerlichen Auswirkungen des Aufwands des Stpfl. abzustellen[9] und damit allein auf die finanziellen Wirkungen für den Staat, greift dabei m. E. zu kurz. Es geht nicht um steuerliche Verschonung durch geringere Sachverhaltsaufklärung, sondern um die Besteuerung eines immer noch "wahrscheinlichsten Sachverhalts". Der Kostenansatz sollte deshalb m. E. gesamtwirtschaftlich betrachtet werden.

In angemessenem Umfang sind auch die Kosten der Nebenverfahren (z. B. Rechtsbehelfs-, Vollstreckungs-, Haftungsverfahren) zu berücksichtigen.

Diese...

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