Rz. 7

Für die Festsetzungsfrist tritt eine Ablaufhemmung ein, wenn die Steuerfestsetzung wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten 6 Monate des Laufs der Festsetzungsfrist nicht erfolgen kann. Damit soll sichergestellt werden, dass der Finanzbehörde ein Mindestzeitraum für die Steuerfestsetzung zur Verfügung steht, in dem sie jedenfalls physisch zur Steuerfestsetzung in der Lage ist.

Die höhere Gewalt kann die Finanzbehörde, aber auch den Stpfl. treffen. Wird der Stpfl. durch höhere Gewalt gehindert, die Festsetzungsfrist zu wahren, z. B. durch einen Antrag auf Steuerfestsetzungen, greift die Ablaufhemmung ebenso ein, wie wenn das Ereignis der höheren Gewalt die Finanzbehörde trifft.[1]

 

Rz. 8

"Höhere Gewalt" ist ein von außen den Betroffenen treffendes Ereignis, das auch bei Anwendung der äußersten zu erwartenden Sorgfalt nicht vermieden werden kann. Jede Art von Verschulden in der Person desjenigen, der sich auf höhere Gewalt beruft, auch geringstes Verschulden, schließt die Annahme von höherer Gewalt aus.[2] Höhere Gewalt sind z. B. Krieg, Naturkatastrophen, Feuer, Unfälle, plötzliche schwere Krankheit des Stpfl. usw. Keine Fälle der höheren Gewalt sind Streiks[3], Personalmangel in der Finanzbehörde, Organisationsmängel (z. B. nicht ausreichende Information der Veranlagungsstelle), Krankheit oder Tod einzelner Sachbearbeiter sind für die Finanzverwaltung keine höhere Gewalt, sondern Vorfälle, deren Eintritt nicht ungewöhnlich ist. Trifft die Finanzverwaltung hierfür keine Vorsorge, ist dies ihr zuzurechnen. Entsprechendes gilt bei Unkenntnis der Finanzbehörde über den Steuerfall. Entsprechendes gilt, wenn diese Vorfälle den Steuerberater des Stpfl. treffen.

Epidemien wie die Corona-Krise begründen allein keine höhere Gewalt, auch wenn die Arbeit der Finanzbehörde dadurch behindert wird. Die Möglichkeit des Home-Office ermöglicht eine Fortführung der Veranlagungsarbeit.[4] Höhere Gewalt kann allenfalls vorliegen, wenn durch die Epidemie so viele Mitarbeiter der Finanzbehörde gleichzeitig erkranken, dass eine Fortführung der Arbeiten unmöglich wird.

 

Rz. 9

Die höhere Gewalt muss die Steuerfestsetzung unmöglich gemacht haben, d. h., die Steuerfestsetzung darf nicht aus subjektivem Unvermögen der Finanzbehörde unterblieben sein, etwa weil vorrangige Aufgaben zu erledigen waren. Der Tatbestand des Abs. 1 liegt nur vor, wenn die Steuerfestsetzung infolge des Ereignisses der höheren Gewalt unter keinen Umständen hätte vorgenommen werden können. Das Ereignis der höheren Gewalt, und nur dieses, muss ursächlich dafür gewesen sein, dass die Steuerfestsetzung nicht erfolgen konnte. Die Finanzbehörde bzw. der Stpfl. musste also, abgesehen von dem Ereignis der höheren Gewalt, willens und in der Lage gewesen sein, die Steuerfestsetzung bzw. die verjährungswahrenden Maßnahmen vorzunehmen. Kannte das FA die Besteuerungsmerkmale nicht, beruhte das Unterlassen der Steuerfestsetzung auf dieser Unkenntnis, nicht auf höherer Gewalt, und zwar selbst dann, wenn die Unkenntnis mittelbare Folge des Ereignisses der höheren Gewalt war.[5] Entsprechendes gilt für den Stpfl. Kannte er die Umstände, die zum Ablauf der Festsetzungsfrist führen, nicht, und sei es aufgrund eines Ereignisses der höheren Gewalt, war er nicht willens, die fristwahrende Maßnahme vorzunehmen (da er ihre Notwendigkeit nicht kannte). Er war also nicht durch höhere Gewalt, sondern durch Unkenntnis an der Vornahme der Handlung gehindert. Das gilt selbst dann, wenn die Unkenntnis auf höherer Gewalt beruht.[6]

 

Rz. 10

Als Rechtsfolge bestimmt Abs. 1, dass die Festsetzungsfrist sich um dieselbe Zeitspanne verlängert, um die die höhere Gewalt während der letzten 6 Monate der Festsetzungsfrist die Steuerfestsetzung verhindert hat.

 
Praxis-Beispiel

Lief die Festsetzungsfrist zum 31.12.08 ab und war die Steuerfestsetzung im Monat Oktober 08 wegen höherer Gewalt gehindert, verlängert sich die Festsetzungsfrist über den 31.12.08 hinaus um einen Monat.

Höhere Gewalt, die zu einem früheren Zeitpunkt als 6 Monate vor Ende der Festsetzungsfrist vorlag, führt nicht zur Ablaufhemmung, wenn die Wirkungen der höheren Gewalt nicht in die 6-Monats-Frist hineinragen.[7]

Außerdem muss die höhere Gewalt vor Ablauf der Festsetzungsfrist eingetreten sein, weil sonst die Steuer erloschen ist. Die höhere Gewalt braucht aber nicht innerhalb der regulären Festsetzungsfrist eingetreten zu sein. Sie kann auch innerhalb der letzten 6 Monate der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO eintreten oder in den letzten 6 Monaten einer nach einer anderen Vorschrift eingetretenen Ablaufhemmung.

 

Rz. 11

Erreicht wird durch diese Regelung, dass zum Ende der Festsetzungsfrist zumindest 6 Monate ohne Beeinträchtigung durch höhere Gewalt für die Steuerfestsetzung zur Verfügung stehen. Der Verlängerungszeitraum beginnt mit Ende der regulären Festsetzungsfrist, frühestens mit Beendigung der die Steuerfestsetzung verhindernden Wirkungen der höheren Gewalt. Bestanden die Wirkungen der höheren Gewalt während der ganzen...

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