Rz. 11

Die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes setzt kein konkretes Arbeitsplatzangebot voraus (BSG, Urteil v. 2.3.2000, B 7 AL 46/99). Das BSG führt in seinen Entscheidungsgründen aus, eine solche Bedingung stünde im Widerspruch zu dem Gleichstellungsgebot ( "soll" gleichgestellt werden). Auch für schwerbehinderte Menschen gelte kein arbeitsplatz- und leistungsbezogener Schwerbehindertenbegriff. Der Gesetzgeber sei vielmehr davon ausgegangen, dass jeder schwerbehinderte Mensch nach — bisher § 1 des Schwerbehindertengesetzes, nunmehr § 2 Abs. 2 des Neunten Buches — dem Schwerbehindertenrecht besonders schutzbedürftig ist und stelle damit im Ergebnis die unwiderlegbare Vermutung auf, dass der schwerbehinderte Mensch hinsichtlich seiner beruflichen und gesellschaftlichen Integration immer einer besonderen gesetzlichen Hilfe und eines entsprechenden Schutzes bedürfe, ohne dass es auf die individuellen Umstände ankomme. Das Schwerbehindertenrecht lasse demnach typisierend einer besonderen Gruppe der behinderten Menschen den gesetzlichen Schutz eines schwerbehinderten Menschen zukommen, und zwar im Rahmen einer abstrakten Bewertung. Demgegenüber trügen die Regelungen zur Gleichstellung dem Personenkreis Rechnung, der bei einer Betrachtung wegen seiner individuellen Behinderung besonders schutzbedürftig sei. Unter diesem Blickwinkel sei es nicht gerechtfertigt, bei einem Gleichzustellenden anders als bei einem schwerbehinderten Menschen einen arbeitsplatzbezogenen Maßstab anzusetzen; entscheidendes Kriterium der Gleichstellung sei allein die mangelnde Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt insgesamt.

 

Rz. 12

Das Schwerbehindertenrecht geht im Sinne einer bedingungslosen Unterstellung davon aus, dass schwerbehinderte Menschen, also behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50, stets schutzbedürftig, in ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Arbeitsleben beeinträchtigt sind. Bei diesem Personenkreis ist keine Prüfung im Einzelfall vorzunehmen, inwieweit Art oder Schwere der Behinderung ursächlich für Schwierigkeiten bei der Teilhabe am Arbeitsleben sind.

 

Rz. 13

Im Gegensatz dazu unterstellt das Gesetz diese Schutzbedürftigkeit bei behinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht von vornherein. Das Schwerbehindertenrecht will behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung nicht wie die schwerbehinderten Menschen allgemein fördern, sondern sie nur davor bewahren, dass sie wegen ihrer Behinderung im beruflichen Wettbewerb mit nichtbehinderten Arbeitnehmern Nachteile erleiden (BVerwG, Urteil v. 17.5.1973, V C 60.72). Um den Schutz zu erlangen, müssen behinderte Menschen — und hierunter ausdrücklich nur diejenigen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 30 — schwerbehinderten Menschen ausdrücklich — durch konstitutive Entscheidung — gleichgestellt werden. Für eine solche Gleichstellung hat der Gesetzgeber aber Kriterien aufgestellt, nämlich die, dass behinderte Menschen ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht erhalten können.

 

Rz. 14

Eine Gleichstellung ist arbeitsplatzbezogen. Auch wenn die Behinderung nicht alleinige Ursache für eine beeinträchtigte Wettbewerbsfähigkeit im Arbeitsleben sein muss, sondern auch andere wettbewerbshemmende Umstände hinzutreten können, so muss doch in der Behinderung, also auch in ihrer Art und Schwere, die Schwierigkeit der Erhaltung und Vermittlung eines dauerhaften Arbeitsplatzes liegen.

 

Rz. 15

Würde eine Einzelfallprüfung nicht erforderlich sein, sondern, wie das BSG in seiner Entscheidung vom 2.3.2000 (s. o.) auch bei dem Personenkreis der behinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 30 die mangelnde Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt unterstellt, wären im Ergebnis auch wesentliche Interessen der schwerbehinderten Menschen nachteilig berührt. Dies ist nicht ohne Bedeutung und vom Gesetzgeber auch nicht gewollt. Damit würde zwischen den Schutzbedürfnissen schwerbehinderter Menschen und den Schutzbedürfnissen weniger beeinträchtigter behinderter Menschen nicht mehr unterschieden. Der Gesetzgeber hat das Schutzbedürfnis schwerbehinderter Menschen mit der vorgenommenen Grenzziehung jedoch höher angesiedelt.

Eine diese Grenzziehung außer Acht lassende Betrachtungsweise könnte im Ergebnis auch dazu führen, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigungspflicht ohne Einschränkung mit gegenüber schwerbehinderten Menschen weniger beeinträchtigten behinderten (gleichgestellten) Menschen erfüllen könnten, was auch finanzielle Auswirkungen hat, weil gleichgestellten behinderten Menschen kein Zusatzurlaub zusteht.

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