Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme eines nichtigen Verwaltungsakts. insolvenzrechtliches Entstehen einer Haftungsschuld

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam.

2. Für die insolvenzrechtliche Begründung der Haftungsforderung kommt es nicht auf die zugrunde liegende Steuerschuld, sondern darauf an, ob die maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung, die die Haftungsinanspruchnahme begründet, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde.

3. Der abstrakte, materiell-rechtliche Haftungsanspruch entsteht im Falle der Geschäftsführerhaftung mit Nichtabgabe der Steuererklärung durch den (hier: faktischen) Geschäftsführer. Ein Haftungsbescheid konkretisiert lediglich den bereits entstandenen Haftungsanspruch und bildet die Grundlage für dessen Verwirklichung; er hat nur deklaratorische Bedeutung.

 

Normenkette

AO §§ 125, 130 Abs. 1, § 191 Abs. 1, § 69; InsO § 38

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 19.01.2021; Aktenzeichen VII R 38/19)

 

Tenor

1. Der Beklagte wird verpflichtet, den Haftungsbescheid vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … wegen der Steuerschulden der Firma … für das Streitjahr 2008 i.H.v. … zurückzunehmen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 30 v.H und dem Beklagten zu … 70 v.H. auferlegt.

4. Das Urteil ist hinsichtlich des Kostenausspruchs ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, einen an den Kläger gerichteten Haftungsbescheid vom … über Steuerschulden der … der Jahre 2008 und 2009 nach § 130 der Abgabenordnung (AO) zurückzunehmen.

Der Kläger, über dessen Vermögen am … das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, war faktischer Geschäftsführer der Firma …. Nachdem die … Vollstreckung in das bewegliche Vermögen der … ohne Erfolg geblieben war, wurde der Kläger mit Bescheid des Beklagten vom … für deren Steuerschulden (Umsatzsteuer 2008 und 2009, Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 2009, Zinsen zur Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer 2008 und 2009, Zinsen zur Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer) wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen und Nichtentrichtung der Steuern i.H.v. insgesamt … in Haftung genommen. Der Bescheid wurde laut Zustellungsurkunde vom … am … in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten des Klägers eingelegt.

Mit Schriftsatz vom … erhob der Kläger Einspruch gegen die seitens des Beklagten durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen. Als Begründung trug er vor, dass ihm die Forderungen nicht bekannt seien und er keine Bescheide erhalten habe. Mit einfachem Brief … vom … wurde dem Kläger der Haftungsbescheid vom … erneut in Kopie übersandt.

Am … beantragte der Kläger beim Beklagten die Aufhebung des Haftungsbescheides vom … mit der Begründung, dass ihm der Haftungsbescheid nicht bekanntgegeben worden und Vollstreckungsmaßnahmen aus diesem nicht zulässig seien. Im Übrigen hätten entsprechende Forderungen nur gegen die Insolvenzmasse im Insolvenzverfahren über sein Vermögen durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend gemacht werden können. Der Erlass eines Haftungsbescheides für einen Zeitraum, der durch ein Insolvenzverfahren erfasst sei, führe zur Nichtigkeit.

Der Beklagte ging davon aus, dass der Kläger mit seinem Schriftsatz vom … die Rücknahme des Haftungsbescheides vom … nach § 130 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) begehrte und lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom … ab. Der dagegen am … eingelegte Einspruch des Klägers wurde mit Entscheidung des Beklagten … vom … zurückgewiesen. In seinen Gründen führte der Beklagte aus, dass der Kläger schuldhaft die Steuerentrichtungspflicht verletzt habe, indem er die am … fällige Umsatz- und Körperschaftsteuer für das Jahr 2008 sowie die am … fällige Umsatz- und Körperschaftsteuer für das Jahr 2009 nicht aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln der … entrichtet habe. Die tatsächlichen Fälligkeiten dieser Steuern und damit der maßgebliche Zeitpunkt der haftungsauslösenden Pflichtverletzung liege nach der am … erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers. Zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Kläger seien die Haftungsansprüche daher noch nicht begründet gewesen.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Der Kläger trägt vor, streitig sei nicht nur die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Haftungsbescheides wegen der Steuerschulden der … sondern auch die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides an sich. Es könne nach der Aktenlage davon auszugegangen werden, dass die Firma … dem Beklagten … EUR schulde. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei ihm jedoch ein entsprechender Haftungsbescheid nicht ...

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