Anerkennung der Rückwirkung ohne Rechnungsberichtigung: Letztendlich hat der BFH die Änderung seiner Rechtsprechung in den 14c-Fällen in gewisser Weise auch bereits vollzogen. So hatte er in seinem Urteil vom 27.9.2018 über einen Fall zu entscheiden, in dem sich Parteien bei einem Sale-and-Lease-back Geschäft gegenseitig Rechnungen für Warenlieferungen (Hin- und Rücklieferung) ausstellten, obwohl allein eine Darlehensgewährung vom Leasinggeber an den Leasingnehmer vorlag.[63] Hier erkannte der BFH eine Beseitigung der Steuerschuld gem. § 14c Abs. 1 UStG[64] (sowohl des Leasinggebers als auch des Leasingnehmers) für die Zeiträume an, in denen die Rechnungen ausgestellt worden waren. Hierfür war noch nicht einmal die Korrektur der Rechnungen erforderlich (s. auch unten III.7.d.).[65]

Keine Gefährdung des Steueraufkommens: Bei seiner Entscheidung berücksichtigte der BFH im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Transaktionen, dass keine Gefährdung des Steueraufkommens vorgelegen habe.[66] Hiermit näherte er sich bereits recht deutlich dem Ansatz des EuGH an, der für die Beurteilung, ob die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleistet ist, stets von einer Gesamtbetrachtung aller Sachverhaltsumstände ausgeht und schaut, ob unter Berücksichtigung aller Zahlungen und Erstattungen eine der Neutralität widersprechende Belastung oder eine Gefährdung des Steueraufkommens eintritt.[67]

"Traditionell" Billigkeitsverfahren: Der BFH ließ den (rückwirkenden) Erlass der Steuerschuld zwar lediglich im Billigkeitsverfahren zu.[68] Das ist aber u.E. Folge dessen, dass das Billigkeitsverfahren in der jüngeren Vergangenheit immer dann als probates Mittel zum Zweck herhalten musste, wenn die Rechtsfolgen, die sich aus der Auslegung des Gesetzes ergeben, Unwohlsein verursachen. Dieser etwas inflationäre Einsatz des Billigkeitsverfahrens ist auch dem BFH bereits in gewisser Form aufgestoßen, so dass er z.B. die Frage gestellt hat, ob Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht bereits bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen seien.[69]

Richtigerweise Festsetzungsverfahren: Diese Zweifel sind berechtigt. U.E. können Vorschriften, die gegen unionsrechtliche Grundsätze verstoßen, erst gar keine Wirkung entfalten. Sie sind daher bereits im Festsetzungsverfahren nicht anzuwenden. Der Verweis des Steuerpflichtigen auf eine Billigkeitsentscheidung, die gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbar ist, widerspricht den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Effektivität. Nähme man einen Fall der sog. "Ermessensreduzierung auf Null" an, würde sich ohnehin die Frage stellen, warum die Frage nicht bei der Steuerfestsetzung, sondern in einem separaten "Ermessensverfahren ohne Ermessen" entschieden werden soll.

Entscheidung ist verallgemeinerungsfähig: Hätte der BFH seine Entscheidung vom 27.9.2018 also richtigerweise bereits im Verfahren zur Steuerfestsetzung getroffen, wäre die Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG (sogar ohne Rechnungskorrektur) rückwirkend beseitigt worden. Warum das in anderen Fällen nicht möglich sein soll, erschließt sich nicht. So ist kein entscheidender Unterschied zu anderen 14c-Fällen erkennbar. Eigentlich ist ja die unklare Rechtslage, die den BFH in dieser Entscheidung zur Bejahung eines Anspruchs auf einen Billigkeitserlass bewog, fast immer der Grund dafür, dass die Steuer falsch ausgewiesen wird.[70]

Bestätigung der Trendwende in seiner Rechtsprechung: In seiner Entscheidung vom 26.9.2019 hat der BFH noch einmal bestätigt, dass er in vergleichbaren Situationen nunmehr erheblich mehr auf Gesamtumstände abstellt. In diesem Urteil stellte er in einem Fall, in dem Leistender und Leistungsempfänger im Irrtum waren und die "reguläre" Versteuerung an Stelle der Versteuerung nach § 13b UStG angewendet hatten, fest, dass beide Parteien keinen Liquiditätsvorteil erlangt hatten (auch hier berücksichtigte er die "komplexen Regelungen"[71]). Der Leistungsempfänger, der den Vorsteuerabzug aus der Rechnung vorgenommen hatte, musste die Korrektur des Vorsteuerabzugs daher nicht verzinsen.[72]

[63] Zur bloßen Finanzierungsfunktion einer solchen Gestaltung vgl. BFH v. 9.2.2006 – V R 22/03, UR 2006, 515. Kritisch hierzu z.B. von Streit/Heidebrecht, UStB 2019, 366 (369).
[64] Der BFH ordnete diesen Fall dem § 14c Abs. 1 UStG (nicht Abs. 2) zu.
[65] Vgl. BFH v. 27.9.2018 – V R 32/16, UR 2019, 191 Rz. 18 ff. Auch der EuGH hält eine Korrektur der Rechnungen nicht stets per se für notwendig; vgl. EuGH v. 11.4.2013 – C-138/12 – Rusedespred, UR 2013, 432.
[67] Vgl. oben II.1. und III.4.
[68] Unter Hinweis darauf, dass noch keine höchstrichterliche Klärung der mehrwertsteuerlichen Beurteilung der Transaktionen vorgelegen habe. Das ist aber häufig so und müsste demnach immer für einen Billigkeitserlass ausreichen.
[69] Zum Verweis auf den Billigkeitsweg vgl. z.B. BFH, Beschl. v. 6.4.2016 – XI R 20/14, UR 2018, 800 Rz. 56 ff., insbesondere auch mit Verweis auf die umfangreiche Kritik in der Literatur (Rz...

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