Leitsatz

1. Für die Frage, ob Kindergeld behalten werden darf oder zurückzuzahlen ist, kommt es auf das Vorliegen von Kindergeldfestsetzungs- oder Aufhebungsbe­scheiden an und nicht auf den abstrakten materiell-rechtlichen Kindergeldanspruch.

2. Bei der Rückforderung von zu Unrecht gezahltem Kindergeld ergibt sich bei länderübergreifenden Sachverhalten keine Anspruchskonkurrenz des Anspruchs nach den europarechtlichen Regelungen der VO Nr. 883/2004 und VO Nr. 987/2009 mit dem Rückforderungsanspruch nach den nationalen Vorschriften.

3. Ein etwaiger Erstattungsanspruch des deutschen Leistungsträgers gegen einen ausländischen Leistungsträger nach den europarechtlichen Bestimmungen ist kein auf steuerrechtlichen Gründen ­beruhender öffentlich-rechtlicher Erstattungsan­spruch nach § 37 Abs. 2 AO. Ein Ausgleichsanspruch zwischen den Mitgliedstaaten nach der VO Nr. 987/2009 berührt daher nicht den Rückforderungsanspruch der Familienkasse gegen den Kindergeldberechtigten.

 

Normenkette

§ 31 Satz 3 EStG, § 37 Abs. 2, § 38, § 44 AO, Art. 68 VO Nr. 883/2004, Art. 6, Art. 60, Art. 73 VO Nr. 987/2009

 

Sachverhalt

Die im Inland wohnende Klägerin ist schwedische Staatsangehörige und Mutter der zwei in ihrem Haushalt lebenden Kinder, für die sie das alleinige Sorgerecht hat. Der von ihr geschiedene Kindesvater lebt in Schweden und übt dort seit Januar 2017 eine Erwerbstätigkeit aus. Die Klägerin ist nicht erwerbstätig und bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Nachdem die Familienkasse von der Erwerbstätigkeit des Kindesvaters erfahren hatte, hob sie die Kindergeldfestsetzung für Januar bis Juli 2017 teilweise auf, weil deutsches Kindergeld gegenüber den schwedischen Leistungen nachrangig sei, und forderte den bereits überzahlten Betrag von der Klägerin zurück.

Im Klageverfahren trug die Familienkasse vor, der schwedische Träger habe mitgeteilt, dass der in Schweden lebende und arbeitende Kindesvater dort mangels Sorgerechts keinen Anspruch auf ­Familienleistungen habe. Dabei habe der schwedische Träger aber Art. 60 der Vo (EG) Nr. 987/­2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Vo (EG) Nr. 883/2004 außer Acht gelassen, wonach Schweden aufgrund der Erwerbstätigkeit des Kindesvaters vorrangig zuständig sei.

Die in der Bundesrepublik Deutschland lebende Kindesmutter müsse in Schweden so behandelt werden, als ob sie dort leben würde. Den europäischen Verordnungen sei auch nicht zu entnehmen, dass die Familienkasse verpflichtet wäre, das zu erstattende Kindergeld vom schwedischen Träger einzufordern. Unabhängig davon habe sie erfolglos versucht, eine Erstattung von schwedischer Seite zu erlangen.

Die Klage hatte zum Teil Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 26.5.2020, 6 K 263/18, Haufe-Index 14058295). Das FG entschied, die Kindergeldfestsetzung sei zwar in Höhe des Anspruchs der Klägerin auf schwedische Familienleistungen zu Recht aufgehoben worden. Es hob aber den Rückforderungsbescheid auf, weil die Familienkasse aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null nur den schwedischen Träger in Anspruch nehmen dürfe.

 

Entscheidung

Die Revision der Familienkasse führte zur Abweisung der Klage auch insoweit, als die Klägerin die Aufhebung des Rückforderungsbescheids begehrte.

 

Hinweis

Der Besprechungsfall zeigt, wie schwierig die Koordinierung von Familienleistungsansprüchen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten ist – beginnend damit, dass der im Ausland bestehende Anspruch häufig zunächst nicht einmal erkannt wird.

1. Die klagende Kindesmutter wohnte im Inland, der Vater war in Schweden erwerbstätig. Die Familienkasse ging deshalb von einer vorrangigen Zuständigkeit Schwedens aus und davon, dass die Klägerin aufgrund eines fiktiven Wohnsitzes in Schweden dort einen Familienleistungsanspruch habe, der auf das zuvor festgesetzte deutsche Kindergeld anzurechnen sei.

Ob dies richtig war, hatte der BFH nicht zu entscheiden, weil die Teilaufhebung der Kindergeldfestsetzung bestandskräftig geworden war. Angemerkt sei: Die Auffassung der Familienkasse trifft zu, siehe dazu BFH, Urteil vom 9.12.2020, III R 73/18 (BFH/PR 2021, 271), und BFH, Urteil vom 27.7.2017, III R 17/16 (BFH/NV 2018, 201).

2. Wer ist Schuldner des überzahlten Kindergeldes? Die Klägerin als Leistungsempfängerin i.S.d. § 37 Abs. 2 AO, denn die Familienkasse hatte auf die (materiell unzutreffend) zu ihren Gunsten bestehende Festsetzung gezahlt.

An dieser Kindergeldfestsetzung war der schwedische Leistungsträger nicht beteiligt; die Herabsetzung des Kindergeldes infolge schwedischer Ansprüche macht ihn weder zum Gesamtschuldner (§ 44 AO) der Kindergeldrückforderung noch zum Haftungsschuldner. Ein europarechtlicher Erstattungsanspruch der Familienkasse gegen den ausländischen Träger berührt den Rückforderungsanspruch gegen den Kindergeldberechtigten nicht. Danach bestand kein Ermessen der Familienkasse, sich statt an die Klägerin an den schwedischen Träger zu wenden.

3. Da § 37 Abs. 2 AO kein Verschulden aufseiten des Leistungsempfängers voraussetzt, steht der Rück...

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