Leitsatz

Der Grundsatz von Treu und Glauben steht der Rückforderung zu viel gezahlten Kindergelds nicht bereits dann entgegen, wenn die Behörde trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zunächst weiterhin Leistungen erbringt. Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen.

 

Normenkette

§ 70 Abs. 2 EStG , § 37 Abs. 2 AO

 

Sachverhalt

Die Tochter der Klägerin heiratete 1997 während des Studiums und bekam ein Kind. In der Folgezeit war sie zur Betreuung des Kindes vom Studium beurlaubt.

Im Mai 1997 beantragte die Klägerin für ihre Tochter Kindergeld. Sie gab an, dass die Tochter sich vom 1.1. bis 31.12.1997 als Studentin in Berufsausbildung befinde.

Am 27.2.1998 übersandte die Klägerin dem Beklagten eine Immatrikulationsbescheinigung für ihre Tochter für das Sommersemester 1998, die ausweist, dass die Tochter vom Studium beurlaubt war. Der Beklagte forderte die Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 2.3.1998 auf, eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen ihrer Tochter für das abgelaufene Jahr 1997 und im Weg der Prognose auch für das Jahr 1998 abzugeben. Dieser Aufforderung kam die Klägerin nach. Der Beklagte zahlte das Kindergeld weiter. Mit Bescheid vom 3.5.1999 hob der Beklagte gem. § 70 Abs. 2 EStG die Festsetzung des Kindergelds rückwirkend ab Oktober 1997 auf, weil die Tochter das Studium zur Betreuung des Kindes unterbrochen habe. Das FG gab der Klage mit der Begründung teilweise statt, dass einer Aufhebung der Festsetzung des Kindergelds über den Monat März 1998 hinaus der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen stehe (EFG 2001, 1456).

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des FG auf und wies die Klage ab. Die Unterbrechung einer Berufsausbildung zwecks Betreuung eines eigenen Kindes führe dazu, dass das Kind nicht mehr gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG für das Kindergeld berücksichtigungsfähig sei. Der Beklagte sei auch berechtigt gewesen, die Festsetzung des Kindergelds für die Tochter der Klägerin gem. § 70 Abs. 2 EStG mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Die hier zu beachtende Veränderung der Verhältnisse liege in dem Umstand, dass die Tochter der Klägerin ihre Ausbildung mit der Geburt ihres eigenen Kindes abbrach.

Der Beklagte habe das Kindergeld auch zurückfordern dürfen. Der im Steuerrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben – hier in seiner Ausprägung als Verwirkung des Rückforderungsanspruchs – stehe dem nicht entgegen. Eine Verwirkung könne nur angenommen werden, wenn die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs sich als illoyale Rechtsausübung darstelle. Bei einem Massenverfahren wie im Kindergeldrecht sei insoweit ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen sei, dass sie auch nach Prüfung des Falls unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgehe und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen könne. Die erkennbaren Umstände müssten einer konkludenten Zusage gleich kommen.

 

Hinweis

Der VI. Senat des BFH hatte schon mehrfach darauf hingewiesen, dass Umstände vorliegen können, die die Rückforderung von Kindergeld treuwidrig erscheinen lassen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.7.2001, VI R 163/00, BFH-PR 2002, 82). Offen geblieben ist, welche Umstände gemeint sein könnten und welche Bedeutung bei dieser Prüfung dem Zeitablauf zwischen der Begründung des Rückforderungsanspruchs, seinem Bekanntwerden und seiner Geltendmachung zukommt. Offen geblieben war auch, ob der Grundsatz von Treu und Glauben auf die Entstehung des Rückforderungsanspruchs einwirkt oder diesen unberührt lässt und lediglich verhindert, dass er geltend gemacht werden kann.

Im Gegensatz zu § 48 Abs. 2 Satz 2 VwfG und § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X enthält die AO keine Regelung, nach der das Vertrauen in eine gewährte Leistung i.d.R. schutzwürdig ist, wenn der Begünstigte sie verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auch § 818 Abs. 3 BGB ist im Rahmen des § 37 Abs. 2 AO nach herrschender Meinung nicht anwendbar; das gilt auch für Ansprüche auf die Rückforderung von Kindergeld (z.B. BFH, Beschluss vom 28.3.2001, VI B 256/00, BFH/NV 2001, 1117).

Da der Gesetzgeber bei der Systemumstellung des Kindergeldrechts und dessen Übernahme in das Einkommensteuerrecht nicht gehalten war, eine den Bestimmungen des SGB X entsprechende Vorschrift in das System steuerlicher Änderungs- und Aufhebungsvorschriften aufzunehmen (vgl. z.B. – zu § 48 SGB X – BFH, Beschluss vom 23.6.2000, VI B 82/00, BFH/NV 2000, 1447), ist nach allgemeinen, auch für das Besteuerungsverfahren geltenden Grundsätzen zu prüfen, ob es entsprechende Beschränkungen des Rückforderungsanspruchs gibt.

In Betracht kommt hier allein der Grundsatz von Treu und Glauben in seiner Ausprägung als Verbot, verwirkte Ansprüche geltend zu machen. Für eine Ver...

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