Wieder bei "Vor-2013": Mit den Ausführungen des EuGH ist die deutsche Rechtspraxis eigentlich wieder in der Zeit vor 2013 angekommen, d.h. bevor der BFH mit dem Urteil vom 24.10.2013 entschieden hatte, auch in dem Fall der vertraglichen Vereinbarung, dass bestimmte Entgeltanteile erst später zu zahlen seien, liege ein Fall der Uneinbringlichkeit i.S.d. § 17 UStG vor, so dass die Bemessungsgrundlage bis zur Vereinnahmung der entsprechenden Beträge vermindert werden könne.[54] Diesen Überlegungen sowie den weiteren Überlegungen des BFH in den nachfolgenden Beschlüssen dazu, dass Steuer, die entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen über einen längeren Zeitraum nicht vereinnahmt werden könne, (noch) nicht geschuldet werde, konnte sich der EuGH leider nicht anschließen.[55]

Frage der Übereinstimmung mit mehrwertsteuerlichen Prinzipien: Das (jetzige) Verständnis des EuGH dürfte dem Wortlaut der Vorschriften der Art. 63, 64 und 90 MwStSystRL entsprechen.[56] Allerdings – und hier hätten ein paar kurze weitergehende Ausführungen nicht geschadet – berücksichtigt dieses Ergebnis möglicherweise ggf. einschlägige übergeordnete Prinzipien des Unionsrechts nicht. So wäre ja denkbar, dass die Vorfinanzierung des Steuerbetrags durch den Steuerpflichtigen über mehrere Jahre dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer widerspricht. Aus diesem ergibt sich nämlich u.a., dass die Mehrwertsteuer für die Steuerpflichtigen keine Belastung darstellen darf.[57] Dies dokumentiert sich darin, dass Mehrwertsteuer, die der Leistende für entgeltliche Umsätze schuldet, auf den Leistungsempfänger abgewälzt wird,[58] während Steuerbeträge, die für bezogene Leistungen an andere Unternehmer gezahlt worden sind, sofort als Vorsteuer geltend gemacht werden dürfen. Bei der Vorfinanzierung über einen längeren Zeitraum ergäbe sich zumindest temporär eine dem Neutralitätsgrundsatz evtl. widersprechende Belastung des leistenden Unternehmers.[59]

Liquiditätsbelastung hat keine Bedeutung für EuGH: Der Effekt der eventuell jahrelangen Vorfinanzierung der Steuer durch den Unternehmer[60] ist für den EuGH aber offensichtlich ohne Bedeutung.[61]

[54] S. oben II.1.
[55] Vgl. auch Korn, MwStR 2021, 972 (975); Neeser, UVR 2022, 17 (19); Joost/Szabó, UVR 2022, 3 (3).
[56] A.A. Rust, UR 2021, 908 (914), s. Fn. 43.
[57] Kritisch auch Stadie, UR 2022, 1.
[58] Zum Prinzip der Abwälzung vgl. z.B. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón v. 7.12.2010 – C-398/09 – Lady & Kid A/S u.a., UR 2012, 326 Rz. 51. Ähnlich erst kürzlich wieder EuGH v. 13.1.2022 – C-156/20 – Zipvit Ltd Rz. 25.
[59] "Temporär", d.h. vom Gedanken her vergleichbar mit der Steuerhinterziehung auf Zeit; auch bei dieser besteht der tatbestandliche Hinterziehungsumfang im Nominalbetrag der verkürzten Steuern. Vgl. Klein/Jäger, 15. Aufl. 2020, § 370 AO Rz. 387.
[60] Sofern nicht – trotz vereinbarter Ratenzahlung – zumindest der Steuerbetrag im Zeitpunkt des Umsatzes vom Leistungsempfänger gezahlt wird. S. unten VI.3.
[61] EuGH v. 28.10.2021 – C-324/20 – X-Beteiligungsgesellschaft mbH, UR 2021, 908 Rz. 51 und 63. Ähnliche Effekte gibt es übrigens auch z.B. beim Tausch oder bei tauschähnlichen Umsätzen. Hier erhält der Unternehmer kein Geld vom Leistungsempfänger, muss die Steuer aber in Geld bezahlen. Daher zu Recht kritisch Stadie, UR 2009, 745; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG Vorbemerkung Rz. 227 ff. Zum Tausch s. auch Sterzinger, UStB 2017, 324.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge