[Ohne Titel]

RA/FAStR Dirk Beyer[*]

Arbeitgeber können für die Lohnsteuer in Haftung genommen werden obwohl Schuldner der Lohnsteuer (und der Einkommensteuer) der Arbeitnehmer ist. Ist diese Haftungsinanspruchnahme rechtswidrig, so stellt sich in der Praxis die Frage, ob nur der Arbeitgeber oder auch der Arbeitnehmer Einspruch einlegen kann. Diese Frage ist auch deshalb von Praxisrelevanz, weil hiervon ggf. zivilrechtliche Mitwirkungspflichten zur Einlegung eines Einspruchs zur Schadensminderung abhängen können. In diesem Beitrag sollen die steuerverfahrensrechtlichen Aspekte der Einspruchsthematik aufgezeigt werden.

[*] Der Autor ist als Rechtsanwalt Mitarbeiter der Kölner Sozietät Luxem Heuel Prowatke mbB.

I. Einführung

Nur der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 S. 1 EStG). Hingegen haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer (§ 42d EStG). Haftung bedeutet das Einstehen mit dem eigenen Vermögen für die fremde Steuerschuld des Arbeitnehmers. Die Haftungsinanspruchnahme ist eine Ermessensentscheidung der Behörde. Haftungsschuldner und Steuerschuldner sind sog. "unechte" Gesamtschuldner. Das bedeutet, der Steuergläubiger kann von jedem die Befriedigung seines Anspruchs verlangen und die Tilgung der Steuer durch einen der Gesamtschuldner wirkt für alle Gesamtschuldner. Die sich hieraus ergebenden zivilrechtlichen Ausgleichsansprüche sind nicht Gegenstand dieses Beitrags. Dies gilt ebenso für das differenzierte Nebeneinander von Lohnsteuerfestsetzung und -haftung (vgl. hierzu Drüen, FR 2019, 1019 (Teil 1) und FR 2019, 1075 (Teil 2); Steinhauff, AO-StB 2020, 65).

II. Beispiel

Der Arbeitgeber AG hat nach Ansicht der Betriebsprüfung die Lohnsteuer (LSt) des ehemaligen Arbeitnehmers AN (Ex-Vorstandsmitglied) für den Monat August 2019 nicht in zutreffender Höhe angemeldet. Der Prüfer entscheidet sich, auf eine Kontrollmitteilung an das Veranlagungs-FA des AN zu verzichten und stattdessen einen Haftungsbescheid wegen der LSt gegen den AG zu erlassen. Daraufhin wird allein dem AG ein entsprechender Haftungsbescheid für die Lohnsteuer des Zeitraums August 2019 bekanntgegeben. Es wird hier unterstellt, dass der Haftungsbescheid rechtswidrig ist. Der AG leitet den Bescheid postalisch an den AN weiter und legt keinen Einspruch ein. Nach Ablauf der für den AG laufenden Einspruchsfrist von einem Monat fordert der AG den AN auf, Einspruch einzulegen. Dieser hat aus taktischen Gründen – die hier unterstellt werden sollen – an der Einspruchseinlegung zurzeit jedoch kein Interesse. Der AN möchte wissen, ob er Einspruch einlegen kann und hierzu ggf. zivilrechtlich verpflichtet ist. Es soll hier unterstellt werden, dass eine Änderung der persönlichen Veranlagung des AN zur ESt mangels Vorliegens von Korrekturvoraussetzungen nicht zulässig ist.

Aus Sicht des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers können sich nach Ergehen eines Haftungsbescheids verschiedene verfahrensrechtliche Fragen ergeben, die hier in den wesentlichen Aspekten zusammengefasst werden sollen.

III. Praxisfragen zum obigen Beispiel

1. Läuft eine Einspruchsfrist zu Lasten des AN?

Diese Frage ist hier mit Nein zu beantworten. Im obigen Beispiel läuft zu Lasten des AN weder die Monats- noch die Jahresfrist (§ 356 Abs. 2 AO: bei nicht ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung).

Begründung: Der Haftungsbescheid ist ein Verwaltungsakt. Ein Verwaltungsakt wird gegenüber einer Person wirksam, wenn er ihr gegenüber bekanntgegeben wird (§ 124 Abs. 1 S. 1 AO, sog. Inhaltsadressat). Gegenüber dem AN ist der Bescheid bisher nicht bekanntgegeben worden. Daher begann bisher auch nicht die Einspruchsfrist zu seinen Lasten. Der Beginn der Einspruchsfrist für den Kläger setzt eine wirksame Bekanntgabe ihm gegenüber voraus (vgl. 355 Abs. 1 S. 1 AO; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 355 AO Rz. 3 [5/2021]). Die Bekanntgabe gegenüber dem AG genügt hierfür ebenso nicht wie die Weiterleitung durch den AG an den AN ohne den Willen des FA.

Keine Jahresfrist: Auch läuft hier keine Jahresfrist. Jeder Fristlauf – sowohl die Monats- als auch die Jahresfrist – setzen eine wirksame Bekanntgabe des Bescheids gegenüber dem AN voraus (vgl. die Ausführungen zuvor).

Weiterleitung irrelevant: Die Weiterleitung des Haftungsbescheids durch den AG an den AN führt zu keiner Heilung des Bekanntgabemangels ihm gegenüber. Die Regelung des § 8 VwZG (Heilung von Zustellungsmängeln bei tatsächlichem Zugang) ist hier nicht anwendbar, da das VwZG nur für formalisierte Bekanntgaben (Einschreiben, Postzustellungsurkunde) gilt. Eine solche liegt hier nicht vor. Es besteht hier auch keine Regelungslücke für eine analoge Anwendung des § 8 VwVG.

Sonderfall Steuerberater: Der BFH hat bisher nur den Sonderfall anerkannt, dass ein Mandant seinem empfangsbevollmächtigten Steuerberater den Steuerbescheid weiterleitet, welcher seitens des FA dem Mandanten und nicht dem Steuerberater übersandt wurde (vgl. zur Rspr. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 122 AO Rz. 15 [5/2021). Der Mandant sei in diesem Fall nach Weiterleitung an seinen Berater nicht mehr schutzbedürftig, da sein Steuerberater jedenfalls in dem Zeitpunkt den Bescheid erhalten hat.

In allen and...

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