rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne aus Wertpapierveräußerungsgeschäften; öffentliche Interessen an einer geordneten Haushaltsführung stehen einer Aussetzung der Vollziehung nicht entgegen

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Gegen die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne aus Wertpapierveräußerungsgeschäften bestehen verfassungsrechtliche Zweifel. § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG in der derzeit gültigen Fassung ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, weil die Durchsetzung des aus dieser Norm erwachsenden Steueranspruchs wegen struktureller Vollzugshindernisse weitestgehend vereitelt wird, d.h. die materielle Steuernorm von den Finanzbehörden tatsächlich nicht vollzogen wird.
  2. Öffentliche Interessen an einer geordneten Haushaltsführung stehen einer Aussetzung der Vollziehung nicht entgegen. Denn der Staat musste seit mehr als einem Jahrzehnt damit rechnen, dass die Vorschriften über Spekulationsgeschäfte mit Wertpapieren für verfassungswidrig erklärt werden.
 

Normenkette

EStG § 23 Abs. 1 Nr. 2; FGO § 69

 

Streitjahr(e)

1999, 2000

 

Nachgehend

BFH (Rücknahme vom 20.09.2004; Aktenzeichen IX B 89/03)

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000, soweit der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) in diesen Bescheiden Einkommensteuer auf private Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren (§ 23 Abs.1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz -EStG -) festgesetzt hat.

In ihren Einkommensteuererklärungen für 1999 und 2000 erklärten die Antragsteller (Ast.) Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H.v. 28.484,56 DM (14.563,92 €) für 1999 und 36.170,11 DM (18.493, 48 €) für 2000. Das FA setzte die Einkommensteuer (ESt) 1999 unter Berücksichtigung dieser Veräußerungsgewinne mit Bescheiden vom 29.04.2002 auf 22.142,01 € für 1999 und 24.072,13 € für 2000 fest. Gegen diese Festsetzungen haben die Ast. Einspruch eingelegt, über den das FA noch nicht entschieden hat. Gleichzeitig beantragten sie Aussetzung der Vollziehung der in den Einkommensteuerbescheiden 1999 und 2000 vom 29.04.2002 festgesetzten Nachforderungen von 3.819,35 € für 1999 bzw. 5.471,33 € für 2000. Zur Begründung gaben sie an, dass gegen den Ansatz von privaten Veräußerungsgewinnen nach § 23 EStG wegen des damit verbundenen Vollzugsdefizits erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestünden. Das FA wies den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ebenso zurück wie einen hiergegen gerichteten Einspruch.

Im Einspruchsbescheid vom 14.01.2003 hat das FA unter Hinweis auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16.07.2002 (IX R 62/99, BStBl II 2003, 74) an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingeräumt, dass ernstliche Zweifel an der derzeitigen Besteuerung privater Veräußerungsgewinne bestünden. Gleichwohl hat das FA eine AdV nicht gewährt. Zur Begründung hat das FA darauf verwiesen, dass neben den ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zusätzlich ein berechtigtes Interesse des Stpfl. an der Gewährung der AdV erforderlich sei. Es sei also eine Abwägung zwischen dem Individualinteresse des Stpfl. und den öffentlichen Interessen erforderlich. Im Streitfall überwiege das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung. Die Frage, ob Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu erfassen seien, habe – trotz aller Vollzugsdefizite – Bedeutung für eine Vielzahl von Fällen und berühre schon aufgrund dieser Breitenwirkung das öffentliche Interesse an einer verlässlichen Finanz- und Haushaltswirtschaft. Dem Individualanspruch auf vorläufigen Rechtsschutz könne nur dann der Vorrang vor dem rechtsstaatlichen Erfordernis eines allgemeinen Normenvollzugs eingeräumt werden, wenn dem Stpfl. entweder irreparable Nachteile drohten oder das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Steuern unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liege. Im Streitfall lägen diese Voraussetzungen nicht vor.

Die Ast. suchen nunmehr um gerichtliche AdV nach. Sie sind weiterhin der Auffassung, dass eine AdV bereits aufgrund der – auch vom BFH im Vorlagebeschluss vom 16.07.2002 festgestellten – verfassungsrechtlichen Bedenken zu gewähren sei. Dem Aussetzungsbegehren könne nicht der Vorrang der geordneten öffentlichen Haushaltsführung entgegen gehalten werden.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß

unter Aufhebung der eine AdV ablehnenden Entscheidung vom 04.02.2002 und der Einspruchsentscheidung vom 14.01.2003 die in den Einkommensteuerbescheiden 1999 und 2000 festgesetzten ESt-Nachzahlungsbeträge i.H.v. 3.819,35 € (1999) bzw. 5.471,33 € (2000) von der Vollziehung auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen, hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Beschwerde zuzulassen.

Das FA verweist auf seinen Einspruchsbescheid vom 14.01.2003 und fügt ergänzend hinzu, dass die Frage des Überwiegens eines öffentlichen Interesses ...

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