Keine verfassungsrechtlichen Zweifel an Grundsteuer in Bayern

Das FG Nürnberg hat in einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung entschieden, dass bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Bayerischen Grundsteuergesetzes (BayGrStG) vom 10.12.2021, das ein reines Flächenmodell vorsieht, bestehen.

Nach Ansicht des FG Nürnberg ist insbesondere eine Verletzung von Art. 123 Abs. 1 BV (Leistungsfähigkeitsprinzip) nicht offenkundig. Es könne auch nicht angenommen werden, dass die Festsetzung der Grundsteueräquivalenzbeträge sowie der Grundsteuermessbeträge für den Antragsteller zu einer derart schwerwiegenden Belastung führe, dass ihm irreparable Nachteile drohten.

Hintergrund: Bayern hat bei Grundsteuerreform reines Flächenmodell umgesetzt

Der Bayerische Landtag hat im November 2021 das BayGrStG verabschiedet. Mit dem Landesgesetz, das am 1.1.2022 in Kraft getreten ist, wird in Bayern ein reines Flächenmodell umgesetzt, welches gänzlich wertunabhängig ist und bei dem die Grundstückslage keine Rolle bei der Berechnung der Grundsteuer spielt. Die Grundstückslage hat nur noch auf kommunaler Ebene über die anzuwendenden Hebesätze, die je nach Kommune variieren können, Auswirkungen auf die zu zahlende Grundsteuer. Die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer richtet sich in Bayern künftig allein nach der Grundstücksgröße und nach den Gebäudeflächen. Für sehr große Grundstücke und für Grundstücke, die zu bestimmten Zwecken genutzt werden, sieht das BayGrStG Ermäßigungen vor.

Die Äquivalenzbeträge des Bayerischen Flächenmodells werden auf den 1.1.2022 im Rahmen einer Hauptfeststellung allgemein festgestellt. Auf den 1.1.2025 werden dann die Grundsteuermessbeträge im Rahmen einer Hauptveranlagung festgesetzt.

Antragsteller macht ungerechte Lastenverteilung geltend

Das Finanzamt folgte den Grundsteuererklärungen des Antragstellers (Ast.) und erließ im Januar 2023 Bescheide über die Grundsteueräquivalenzbeträge sowie Bescheide über den Grundsteuermessbetrag (jeweils Hauptveranlagungen auf den 1.1.2025) für mehrere Wohnungen.

Hiergegen legte der Ast. Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Bescheide. Nach der Ablehnung der AdV durch das Finanzamt hat der Ast. beim FG Nürnberg die AdV der Bescheide über die Grundsteueräquivalenzbeträge sowie über den Grundsteuermessbetrag beantragt.

Er trägt zur Begründung vor, dass die neuen Grundsteuerwerte flächenorientiert ermittelt würden. Hierdurch würden die Lasten ungerecht verteilt. Nach dem bayerischen Berechnungsmodell werde die Grundsteuer in Bestlagen wohl sinken, weil keine Differenzierung nach Wohnlagen vorgenommen werde, anders jedoch für „Omas Häuschen“ am Stadtrand. Es sei mit erheblichen Mehrbelastungen für Mieter und Grundstückseigentümer zu rechnen, dies sei ungerecht. Die Vollziehung der angefochtenen Bescheide solle daher bis zur Klärung durch Gerichtsurteile ausgesetzt werden.

Finanzamt sieht dies anders

Das Finanzamt (FA) nahm im gerichtlichen Aussetzungsverfahren wie folgt Stellung:

  • Für den Grundsteueräquivalenzbetragsbescheid sei ein Äquivalenzbetrag des Grund und Bodens gemäß Art. 1 Abs. 3 Satz 1 BayGrStG festzustellen. Hierzu sei die zur wirtschaftlichen Einheit gehörende Flurstücksfläche mit der jeweiligen Äquivalenzzahl nach Art. 3 Abs. 1 BayGrStG zu multiplizieren. Des Weiteren sei der Äquivalenzbetrag des Gebäudes gem. Art. 1 Abs. 3 Satz 2 BayGrStG festzustellen. Hierzu seien die maßgeblichen Flächen gemäß Art. 2 Abs. 1 bis 3 BayGrStG mit der Äquivalenzzahl gemäß Art. 3 Abs. 2 BayGrStG zu multiplizieren.
  • Für den Grundsteuermessbetragsbescheid erfolge die Feststellung durch Multiplikation des Äquivalenzbetrags des Grund und Bodens nach Art. 1 Abs. 3 Satz 1 BayGrStG und der Grundsteuermesszahl nach Art. 4 BayGrStG sowie durch Multiplikation aus den Äquivalenzbeträgen von Wohn- und Nutzflächen nach Art. 1 Abs. 3 Satz 2 BayGrStG und der jeweiligen Grundsteuermesszahl nach Art. 4 BayGrStG.
  • Nach Durchführung dieses Verfahrens hätten sich die in den streitgegenständlichen Bescheiden festgesetzten Grundsteueräquivalenzbeträge sowie Grundsteuermessbeträge ergeben. Hiergegen habe der Ast. keine Einwände erhoben.
  • Gegenüber den bisher festgestellten Werten verminderten sich die Grundsteuermessbeträge im Übrigen für den Ast. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Ast. "mit erheblichen Mehrbelastungen" zu rechnen habe. Die beiden Wohnungen lägen nicht "Bestlagen" der B-Stadt, die der Ast. aufführe, und erführen trotzdem eine Verminderung des Grundsteuermessbetrags.
  • Bei gleichbleibendem Hebesatz der Gemeinde (Art. 5 BayGrStG) ergäbe sich sogar eine Verminderung der Grundsteuer. Dem Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sei gegenüber dem Interesse eines vorläufigen Rechtsschutzes Vorrang einzuräumen.

Entscheidung: FG hat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen

Das FG hat bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des BayGrStG.

Weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Dem Gesetzgeber stehe bei der im Jahr 2018 vom BVerfG angemahnten Neuregelung der Grundsteuer ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er habe bei der Wahl der Bemessungsgrundlage und bei der Ausgestaltung der Bewertungsregeln einer Steuer einen großen Spielraum, solange sie geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen und dabei die Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abzubilden.

Dieser Gestaltungsspielraum beinhalte auch eine Typisierungskompetenz. Bei der Wahl des geeigneten Maßstabs dürfe sich der Gesetzgeber auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen könnten, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssten. Jedenfalls müsse das so gewählte und ausgestaltete Bemessungssystem, um eine lastengleiche Besteuerung zu gewährleisten, in der Gesamtsicht eine in der Relation realitäts- und damit gleichheitsgerechte Bemessung des steuerlichen Belastungsgrundes sicherstellen.

Das BVerfG habe keine Festlegung zugunsten eines bestimmten Reformmodells getroffen und auch die Frage, ob es sich bei der Neuregelung um eine wertabhängige Bewertungsmethode handeln müsse, offengelassen.

Das BayGrStG habe den Vorteil des leichteren Vollzugs und vermeide u. a. die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Berücksichtigung der Bodenrichtwerte. Nachteil des reinen Äquivalenzmodells sei u. a., dass es sich um eine sehr pauschale Bewertungssystematik handele und der tatsächliche Marktwert von Grundstücken unberücksichtigt bleibe.

Bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung sei das System der Ermittlung der Grundsteuer auf der Grundlage eines reinen Flächenmodells vor dem Hintergrund des erheblichen Bewertungsspielraums des Gesetzgebers allerdings nicht zu beanstanden.

Insbesondere eine Verletzung von Art. 123 Abs. 1 BV (Leistungsfähigkeitsprinzip) sei nicht offenkundig. Diese Verfassungsnorm beziehe sich nach der bisherigen Rechtsprechung des BayVerfGH nur auf Personalsteuern, die es gestatteten, persönliche Verhältnisses zu berücksichtigen, nicht dagegen auf solche Landessteuern, die – ihrer Natur nach – nach objektiven Merkmalen bemessen würden. Darüber hinaus bestünde im Einzelfall die Möglichkeit, Ansprüche aus dem Grundsteuerschuldverhältnis zu erlassen, soweit nach dem durch das BayGrStG vorgeschriebenen Systemwechsel nach Lage des einzelnen Falles eine unangemessen hohe Steuerbelastung eintrete (vgl. Art. 8 BayGrStG).

AdV würde geordnete Haushaltsführung gefährden

Die beantragte AdV wäre dem Ast. im Übrigen auch aufgrund des mangelnden besonderen Aussetzungsinteresses nicht zu gewähren. Bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm setze die AdV wegen des Geltungsanspruchs jedes formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes nämlich grundsätzlich voraus, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Ast. an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehe, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukomme.

Bei der Prüfung, ob ein solch berechtigtes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen bestehe, sei dieses mit den gegen die Gewährung von AdV sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei komme es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer AdV hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an.

Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BayVerfGH bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes sei der Vorrang einzuräumen, wenn die AdV eines Verwaltungsakts im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen seien und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen habe.

Im Streitfall könne nicht angenommen werden, dass die Festsetzung der Grundsteueräquivalenzbeträge sowie der Grundsteuermessbeträge für den Ast. zu einer derart schwerwiegenden Belastung führe, dass ihm irreparable Nachteile drohten. Demgegenüber bestehe am Vollzug des BayGrStG wegen der Sicherung einer geordneten Haushaltsführung ein öffentliches Interesse. Eine AdV der Bescheide über die Grundsteueräquivalenzbeträge sowie der Bescheide über den Grundsteuermessbetrag betreffe nicht nur den Ast., sondern würde zu einer faktischen vorläufigen Außerkraftsetzung des BayGrStG für einen nicht absehbaren Zeitraum und damit bei den hebeberechtigten Kommunen letztlich zu erheblichen Einnahmeausfällen führen.

Die gebotene Abwägung des für eine AdV sprechenden individuellen Interesses des Antragstellers, das allein darin bestehe, die Grundsteuer ab dem 1.1.2025 nicht unter Zugrundelegung der festgesetzten Grundsteuermessbeträge entrichten zu müssen und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung falle im Streitfall zu Lasten des Ast. aus.

Beschwerde zum BFH zugelassen

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das FG die Beschwerde zum BFH zugelassen. Es ist wohl davon auszugehen, dass der Ast. den Beschwerdeweg beschreiten wird.

FG Nürnberg, Beschluss v. 8.8.2023, 8 V 300/23.

Hinweis: Vom Bundesmodell abweichende Regelungen auch in weiteren Ländern

Neben Bayern haben auch die Länder Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und der Stadtstaat Hamburg von der sog. Länderöffnungsklausel gem. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG Gebrauch gemacht.

Während in Bayern lagebedingte Wertunterschiede der Grundstücke keine Rolle spielen, finden sie in Baden-Württemberg hingegen über den Einbezug der Bodenrichtwerte Eingang in die Bewertung des Grundbesitzes. Hessen und Niedersachsen wenden zur Berücksichtigung der Grundstückslage sog. Lagefaktoren an und auch das Landesmodell von Hamburg unterscheidet zwischen "normalen" und "guten" Wohnlagen und sieht für normale Wohnlagen einen Abschlag bei der Steuermesszahl vor.

Wenngleich die Entscheidung des FG Nürnberg auf die übrigen Ländermodelle in Bezug auf die Bewertungsverfahren nicht unmittelbar Anwendung finden dürfte, sind die Ausführungen des FG hinsichtlich der Güterabwägung zwischen einem Individualinteresse an einer AdV und dem entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung nicht von der Hand zu weisen.