Rn. 389

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Die Gewinnung und Fortentwicklung von GoB ist eine handelsrechtliche Aufgabe (vgl Beisse, StuW 1994, 1, 5), obschon höchst selten der BGH mit der Klärung von Bilanzierungsfragen befasst ist, sondern regelmäßig steuerrechtlich veranlasst der BFH. Die Funktion, den jeweils aktuellen Bestand/Inhalt der GoB auszufüllen, obliegt faktisch damit ganz überwiegend dem BFH (vgl Kleindiek in MüKo, BilR, § 243 HGB Rz 4 (2013)).

Hinsichtlich der Methoden zur Gewinnung der GoB wird traditionell zwischen der induktiven und der deduktiven Methode unterschieden.

Die induktive Erkenntnisgewinnung vollzieht den Schluss von einzelnen Beobachtungen, dh von besonderen auf allgemeine Sätze. Übertragen auf die GoB-Gewinnung bedeutet Induktion den Versuch, durch empirische Feststellungen des tatsächlichen Bilanzierungsvorgehens respektive der Verkehrsanschauung ehrenwerter Kaufleute auf einen Grundsatz allgemeiner Natur zu schließen (Leffson, Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 29 (7. Aufl 1987); ADS, § 243 HGB Rz 12). Wissenschaftstheoretisch unstreitig ist, dass der Schluss von singulären Beobachtungen auf allgemeine Sätze logisch nicht zu rechtfertigen ist (stellvertretend Popper, Logik der Forschung, 3ff (10. Aufl. 1994)). Die induktive Methode versagt systemimmanent insbesondere bei erstmalig auftretenden Bilanzierungsfragen, für die sich ein einheitliches Meinungsbild gerade (noch) nicht herausgebildet hat (vgl ADS, § 243 HGB Rz 13). Zudem eröffnete ein induktives Vorgehen den Bilanzierenden die Möglichkeit, auf Bilanzierungsgrundsätze nach eigener Interessenlage Einfluss zu nehmen. Ein rein induktives Vorgehen wird für die Gewinnung von GoB folgerichtig abgelehnt (zB Schneider, StuW 1983, 141; ADS, § 243 HGB Rz 13; Leffson, Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 29 (7. Aufl 1987); Baetge/Zülch in HdJ, Abt I/2 Rz 20 (Februar 2022); vgl auch BFH v 31.05.1967, I 208/63, BStBl III 1967, 607). Von einer zwingenden Identität zwischen überwiegender Bilanzierungspraxis und GoB ist nicht auszugehen. Für die Bilanzierung kann nicht entscheidend sein, wie die Praxis (überwiegend) vorgeht, sondern wie sie vorgehen sollte (vgl bereits Döllerer, WPg 1959, 653f).

Die deduktive Erkenntnisgewinnung zieht den Schluss vom Allgemeinen zum Speziellen, im Kontext der GoB-Ermittlung von allgemeinen Rechnungslegungszwecken zum einzelnen Bilanzierungsgrundsatz. Die gesetzlichen Buchführungs- und Jahresabschlusszwecke bilden die Basis für die handelsrechtlich deduktive Herleitung der GoB. Insoweit problematisch erweist sich, dass die gesetzlichen Zwecke nicht singulär und im Ergebnis häufig nicht eindeutig und widerspruchsfrei sind, so dass auch die Deduktion als alleinige Methode zur Ableitung von GoB nicht tragfähig ist (vgl Kirsch/Brötzmann/Wätjen in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 243 HGB Rz 32 (Oktober 2018); Baetge/Zülch in HdJ, Kap A I/2, Rz 22 (Februar 2022)).

Im bilanztheoretischen Schrifttum hat sich als Folge der Schwächen induktiver und deduktiver GoB-Ermittlung die Hermeneutik als Methode zur Gewinnung bzw insbesondere zur Fortentwicklung von GoB etabliert (vgl Ballwieser in FS Budde, 46 (1995); Euler, Das System der Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung, 11ff (1996); Justenhoven/Usinger, in BeBiKo, § 243 Rz 18 (13. Aufl 2022)). Die hermeneutische Methode stellt einen ganzheitlichen Ansatz dar, der neben gesetzesbezogenen Auslegungselementen wie Wortlaut, Bedeutungszusammenhang, Entstehungsgeschichte, objektiv-teleologischer Auslegung ("Sinn und Zweck der Norm") auf Basis der aus den Gesetzgebungsmaterialien ersichtlichen Gesetzgeberintention auch Elemente der deduktiven (Bsp JA-Zwecke) und induktiven Methode einbezieht, so dass letztlich alle auf die Rechnungslegung Einfluss nehmenden wesentlichen Elemente Berücksichtigung finden. Die Methode baut maßgeblich auf bereits kodifizierte GoB auf und führt diese in ganzheitlicher Betrachtung einer Auslegung zu. Wenngleich sich insgesamt noch keine allseits akzeptierte Lehre zur Ermittlung von GoB herausgebildet hat, hat die hermeneutische Methode als ganzheitlicher Ansatz mit der Stärkung des Zweckpluralismus der handelsrechtlichen Rechnungslegung im Zuge des BilMoG und des damit erfolgten weiteren Abbaus einer eindeutigen (handelsrechtlichen) Deduktionsbasis an Gewicht gewonnen.

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