Rn. 615

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Für die räumliche Entfernung lassen sich keine allg Regeln festlegen; entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles, ua gekennzeichnet durch die Vergleichbarkeit der Betätigung, den Bekanntheitsgrad des Veräußerers und Art und Struktur des Mandantenkreises (BFH BFH/NV 1999, 1594; 2006, 298). Eröffnet der Veräußerer in einer Entfernung von 15 km vom Sitz der bisherigen Praxis alsbald nach der Veräußerung eine Einzelpraxis, kann gleichwohl eine steuerbegünstigte Praxisveräußerung vorliegen. Von Bedeutung ist, ob im lokalen Umfeld der Praxis die bezeichneten Umstände eine nennenswerte Förderung der Neugründung erwarten lassen; das ist bei der Verlegung einer StB-Kanzlei im Randbereich des Einzugsgebietes der bisherigen Betätigung nach FG BdW EFG 2000, 685 nicht ohne Weiteres der Fall; umso weniger bei der Verlegung einer Zahnarztpraxis um 25 km (FG D'dorf EFG 1985, 449).

 

Rn. 615a

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Das Erfordernis der "gewissen Zeit" ist von der Rspr nicht näher bestimmt; es ist von den Umständen des Einzelfalles abhängig (BFH BFH/NV 2007, 431), wie etwa der räumlichen Entfernung der wiederaufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, der Vergleichbarkeit der Betätigung, dem Bekanntheitsgrad des Veräußerers und der Art und Struktur der Mandate sowie die Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts (BFH BStBl II 2019, 64; BFH/NV 2006, 298; 2020, 507). Maßgebend ist, ob es zu einer "definitiven Übertragung" der wesentlichen Betriebsgrundlagen (s Rn 605f) gekommen ist (BFH BStBl II 2019, 64; BFH/NV 2020, 507).

Eine starre zeitliche Grenze als einzuhaltende "Wartezeit" besteht daher nicht (BFH BFH/NV 2020, 507). Doch kommt eine Zeitspanne von drei Jahren auf jeden Fall als ausreichend in Betracht, zumal dieser Zeitraum etwa der Nutzungsdauer eines erworbenen Praxiswerts, aber auch den Fristen entspricht, die im Wirtschaftsleben – zB bei einem Wettbewerbsverbot – zugrunde gelegt werden (vgl BFH BFH/NV 1999, 1594; Brandt in H/H/R, § 18 EStG Rz 324 (Februar 2020)); danach genügt die vorübergehende Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit am bisherigen Wirkungsort für einen Zeitraum von 5 Monaten nicht. Nach BFH BStBl II 2019, 64 (zu FG Köln EFG 2015, 556, bestätigt) liegt bei Wiederaufnahme einer StB-Tätigkeit in einer Einzelpraxis nach 22 Monaten Tätigkeit als freier Mitarbeiter des Erwerbers in derselben Stadt unter weitgehender "Mitnahme" der "eingebrachten" Mandate und teilweiser (Wieder-)Einstellung des ehedem beschäftigten Personals eine nicht definitive Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen vor. Entsprechendes gilt nach FG Nds EFG 1998, 299 bei Verkauf einer Arztpraxis (Facharzt für Chirurgie) und Begründung einer Praxis für Allgemeinmedizin nach 6 Monaten, wenn der Veräußerer nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit sofort hohe Umsätze auch mit früheren Patienten erzielt. Vgl zu den vorstehenden Fragen insb Richter, FS Korn, 131.

 

Rn. 616

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Die Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit nach einer gewissen Zeit am bisherigen Tätigkeitsort kann schädlich sein, auch wenn sie zum Zeitpunkt der Übertragung nicht geplant war. Die Gründe für die Wiederaufnahme sind idR unerheblich. Maßgebend ist, wie ausgeführt, ob es zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen (s Rn 605f) gekommen ist (BFH BStBl II 2019, 64; BFH/NV 2020, 507).

Doch ist die Fortführung der bisherigen Tätigkeit innerhalb des bisherigen Wirkungskreises und ohne Beachtung einer Karenzzeit in beschränktem Umfang unschädlich (BFH BStBl II 2019, 64). Voraussetzung ist, dass die hierauf entfallenden Umsätze in den letzten drei Jahren vor der Praxisveräußerung weniger als 10 % der gesamten Einnahmen ausmachten (BFH BStBl II 1992, 457; 1993, 182; BFH/NV 2000, 1341; 2001, 33; 2009, 756; 2020, 507; H 18.3 EStH 2020 "Veräußerung"). Das gilt auch, wenn der Veräußerer mit geringfügigster Gewinnbeteiligung (im entschiedenen Fall 1 %) Gesellschafter einer erwerbenden Partnergesellschaft wird (BFH BFH/NV 2020, 507).

Hierbei gehen Rspr und FinVerw offensichtlich von der Vorstellung bzw Sachverhaltsgestaltung aus, dass Fortführung (nur) die Weiterbetreuung von vor der Veräußerung vorhandenen Mandaten ist. Die gleichartige Tätigkeit mit neuen Mandaten kann jedoch ebenfalls nur im beschränkten Umfang zulässig sein, weil das bisherige Wirkungsfeld die Grundlage der zukünftigen selbstständigen Tätigkeit darstellt (BFH BStBl II 1975, 661; 1986, 335; Brandt in H/H/R, § 18 EStG Rz 324 (Februar 2020); hierzu Richter, FS Korn, 131; Stbg 2008,16; Schoor, DStZ 2007, 445). Das Maß des zulässigen Umfangs der weiteren selbstständigen Tätigkeit ist daher nach der obigen Formel dahin zu bestimmen, dass die Einnahmen der fortgeführten Tätigkeit mit alten und neuen Mandaten zusammen genommen weniger als 10 % der Umsätze der letzten drei Jahre vor der Veräußerung betragen müssen (BFH BFH/NV 2020, 507; gegen FinVerw DB 2003, 2522; 2007, 314: neue Mandate seien grundsätzlich schädlich).

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