Rz. 110

[Autor/Stand] Entscheidet das AG aufgrund der Hauptverhandlung durch Urteil über die Steuerordnungswidrigkeit, ist es an die im Bußgeldbescheid des FA festgesetzte Unrechtsfolge nicht gebunden, es gilt kein Verschlechterungsverbot (§ 411 Abs. 4 StPO i.V.m. § 71 OWiG). Das Urteil darf also auch zuungunsten des Betroffenen vom Bußgeldbescheid abweichen, d.h. der Richter kann auch eine höhere als die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße verhängen, ohne den Betroffenen hierauf zuvor hinweisen zu müssen[2].

Das Gericht kann aufgrund seiner Entscheidungsfreiheit die Tat sogar als Straftat werten mit der Folge, dass das Bußgeldverfahren in das Strafverfahren übergeht (§ 81 Abs. 1 Satz 1 OWiG, s. näher Rz. 123 ff.). Das setzt allerdings voraus, dass es den Betroffenen zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben hat (§ 81 Abs. 1 Satz 2 OWiG). Mit dem Hinweis erhält er die Rechtsstellung eines Angeklagten und es gelten die Verfahrensregelungen für den Strafprozess (§ 81 Abs. 2, 3 OWiG). Umstritten ist, ob eine Rücknahme des Einspruchs ist nach Erteilung des Hinweises noch möglich ist (s. dazu Rz. 126 m.w.N.). Streitig ist ferner, ob der Übergang ins Strafverfahren unwirksam ist, wenn die dem Hinweis vorauszugehende Anhörung unterblieben ist[3] und damit die Einspruchsrücknahme möglich bleibt.

Wird in dem Urteil eine Geldbuße von nicht mehr als 250 EUR festgesetzt und war der von der Anwesenheit entbundene Betroffene in der Hauptverhandlung anwaltlich vertreten, so kann von einer schriftlichen Urteilsbegründung abgesehen werden (§ 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG); diese ist nachzuholen, wenn der Betroffene gegen das Urteil Rechtsbeschwerde einlegt (§ 77b Abs. 2 OWiG).

[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.02.2022
[2] KG v. 10.3.2014 – 122 Ss 31/14, juris; OLG Hamm v. 6.12.1979 – 6 Ss Owi 1576/79, NJW 1980, 1587; Senge in KK5, § 71 OWiG Rz. 102 m.w.N.
[3] Gegen Unwirksamkeit OLG Köln v. 15.1.2002 – Ss 456/01, juris; für Unwirksamkeit LG Kaiserslautern v. 23.10.1986 – 3 Qs 235/86, juris; Tormöhlen in HHSp., § 410 AO Rz. 108; unentschieden Krumm in Tipke/Kruse, § 410 AO Rz. 24.

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