Rz. 244

[Autor/Stand] Verdichten sich die im Rahmen der Vorfeldermittlungen gewonnenen Erkenntnisse zu einem hinreichenden strafprozessualen Anfangsverdacht, bestimmt sich die weitere sachliche Zuständigkeit nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AO. Die Steufa hat gem. § 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO von Amts wegen unverzüglich das Strafverfahren einzuleiten. Dabei ist die Beachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Belehrungs- und Bekanntgabepflichten (§ 393 Abs. 1 Satz 4, § 397 Abs. 3 AO und § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO) unabdingbar.

 

Rz. 245

[Autor/Stand] Die (Weiter-)Führung von Vorfeldermittlungen in der Absicht, diese Konsequenzen zu vermeiden, ist unzulässig. Die Steufa darf bei "konkreten Tatsachen" für ein Steuervergehen nicht unter dem "Deckmantel" des Steuerverfahrens ihre weitreichenden steuerrechtlichen Ermittlungsbefugnisse (s. dazu Rz. 346 ff.) zum Zwecke der Sammlung von Beweismaterial zur (Selbst-)Überführung des Beschuldigten einsetzen[3]. Dies käme einer strafprozessual unzulässigen "Ausforschung" gleich; derart erlangte Erkenntnisse dürfen nicht für ein Steuerstrafverfahren verwertet werden (s. Rz. 125)[4]. Die Steufa muss bei sich abzeichnendem Tatverdacht rechtzeitig "umschalten". Nur so wird den Vorschriften der StPO und der besonderen strafprozessualen Rechtsstellung des Beschuldigten Rechnung getragen. Eine klare Trennung in diesem Grenzbereich steuerlicher/strafrechtlicher Ermittlungen bei einem bekannten Stpfl. ist hierbei in besonderem Maße geboten. Mit dem von der Rspr. grds. als zulässig erachteten Auftreten der Steufa, um anlässlich ein- und derselben Maßnahme gestützt auf die doppelte Aufgabenzuweisung sowohl steuerrechtlich als auch strafrechtlich zu ermitteln, ist bereits nach § 393 Abs. 1 Satz 1 AO weder die Möglichkeit eines willkürlichen Rollentausches noch einer Kumulation der Befugnisse eröffnet (s. Rz. 119 ff.).

 

Rz. 246

[Autor/Stand] Das Verbot, trotz der doppelten Aufgabenzuweisung an die Steufa die den Fahndungsbeamten zustehenden Kompetenzen nicht im Sinne eines Meistbegünstigungsprinzips auszunutzen (s. Rz. 127)[6] und nicht beliebig zwischen Besteuerungs- und Strafverfahren zu wechseln[7], zeigt sich auch in anderer Hinsicht.

 

Beispiel 178

Die Steufa hat Erkenntnisse, dass Ärzte die Einnahmen aus der Verwendung eines bestimmten Produkts nicht versteuern. Um das vermutete Hinterziehungsfeld aufzuklären und weitere belieferte Ärzte ermitteln zu können, richtet sie im Rahmen von Vorfeldermittlungen ein Sammelauskunftsersuchen an den Hersteller des Produkts. Nachdem die Steufa das Revisionsverfahren hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchens nicht abwarten will, erwirkt sie nach mehr als einem Jahr einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, um auf diese Weise die begehrten Auskünfte vom Hersteller zu erhalten.

 

Rz. 247

[Autor/Stand] Ergreift die Steufa Vorfeldermittlungen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, gibt sie damit zu verstehen, dass die Erkenntnisse noch keinen Anfangsverdacht und damit Ermittlungen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO rechtfertigen können. Dagegen treten bei einem sich abzeichnenden Verdacht die strafprozessualen Aufgaben und Befugnisse der Fahndung hervor. Hat sich die Steufa entschieden, ein vermutetes Hinterziehungsfeld mit den Mitteln des Besteuerungsverfahrens aufzuklären, kann sie sich daher nicht einfach auf einen Anfangsverdacht und strafprozessuale Befugnisse berufen. Ein Wechsel vom Besteuerungs- zum Steuerstrafverfahren oder umgekehrt bedarf über die formelle Aufgabennorm hinaus weiterer sachlicher Gründe, vor allem der Veränderung der für die Eingriffsschwelle maßgeblichen Umstände[9]. Erforderlich ist, dass sich aufgrund einer veränderten Tatsachengrundlage die Anhaltspunkte für Steuerunehrlichkeiten über einen hinreichenden Anlass hinaus, der zu Vorfeldermittlungen berechtigt, verdichtet haben.

 

Rz. 248

[Autor/Stand] Ohnehin hat die FinB zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit statt strafprozessualer Zwangsmaßnahmen primär die – mitunter zeitaufwendigeren – Mittel des Besteuerungsverfahrens (z.B. Auskunftsersuchen an den Stpfl. oder andere Personen, Vorlageverlangen etc. nach §§ 92 ff. AO, Außenprüfung) auszuschöpfen[11].

[Autor/Stand] Autor: Bode, Stand: 01.01.2023
[Autor/Stand] Autor: Bode, Stand: 01.01.2023
[3] Ebenso Seer in Tipke/Kruse, § 208 AO Rz. 28; vgl. auch Webel in JJR9, § 404 AO Rz. 50 und 128 (9. Aufl. online).
[4] Dazu auch Kohlmann in FS Tipke, 1995, S. 487 (500 ff.).
[Autor/Stand] Autor: Bode, Stand: 01.01.2023
[6] Vgl. Pütz, wistra 1998, 54 (57).
[7] Tormöhlen in HHSp., § 208 AO Rz. 59; Rüping, Steuerfahndungsergebnisse, 1981, S. 17.
[Autor/Stand] Autor: Bode, Stand: 01.01.2023
[9] Ähnlich Rüping, DStR 2002, 2020 (2021); Kohlmann in FS Tipke, 1995, S. 487 (496); Streck/Spatscheck/Talaska, Steuerfahndung5, Rz. 27.
[Autor/Stand] Autor: Bode, Stand: 01.01.2023
[11] BVerfG v. 3.7.2006 – 2 BvR 2030/04, wistra 2006, 377 (378) = HFR 2006, 922 (923) m. Anm. Wiese, wistra 2006, 417; BVerfG v....

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