a) Rechtliche Grundlagen für das Verständnis der Norm des § 99 AO

 

Rz. 717

[Autor/Stand] Die Befugnis zum Betreten des Grundstückes (Wohn-/Geschäftsraum) des Stpfl. ergibt sich aus § 99 AO:

§ 99 AO Betreten von Grundstücken und Räumen

(1) Die von der Finanzbehörde mit der Einnahme des Augenscheins betrauten Amtsträger und die nach den §§ 96 und 98 zugezogenen Sachverständigen sind berechtigt, Grundstücke, Räume, Schiffe, umschlossene Betriebsvorrichtungen und ähnliche Einrichtungen während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeit zu betreten, soweit dies erforderlich ist, um im Besteuerungsinteresse Feststellungen zu treffen. Die betroffenen Personen sollen angemessene Zeit vorher benachrichtigt werden. Wohnräume dürfen gegen den Willen des Inhabers nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten werden.

(2) Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen nicht zu dem Zweck angeordnet werden, nach unbekannten Gegenständen zu forschen.

 

Rz. 718

[Autor/Stand] Zunächst ist klärungsbedürftig, ob § 99 AO i.S.d. Art. 13 GG verfassungsgemäß ist. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG (Abs. 1 "Die Wohnung ist unverletzlich") umfasst nach h.M. sowohl Privat- als auch Geschäfts- und Arbeitsräume[3].

Art. 13 GG

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Gemäß Art. 13 Abs. 7 GG sind aber rechtmäßige Eingriffe nach § 99 AO (Eingriff aufgrund eines Gesetzes) zulässig[4]. Der Schutz des Stpfl. aus der Abwehrnorm des Art. 8 Abs. 1 EMRK[5] kann, ebenso wie bei Art. 13 GG, aufgrund eines rechtmäßigen Gesetzes (§ 99 AO), zulässig eingeschränkt werden[6].

 

Rz. 719

[Autor/Stand] Das Betreten von privaten Wohnräumen ist aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes nach Art. 13 Abs. 7 GG immer das letzte Aufklärungsmittel (ultima ratio)[8]. Das häusliche Arbeitszimmer unterfällt dem § 99 Abs. 1 Satz 3 AO, weil regelmäßig Wohnräume durchschritten müssen, um es zu erreichen[9]. Nach anderen Auffassungen in der Literatur[10] ist es beruflich genutzter Raum, welcher der Regelung des § 99 Abs. 1 Satz 1 AO unterfällt.

 

Rz. 720

[Autor/Stand] Das Hausrecht nach dem BGB gestattet keine Abwehr des rechtmäßigen Eingriffs nach § 99 AO. Der von der Maßnahme Betroffene, der unmittelbare Besitzer (§ 854 BGB), hat Duldungspflichten, welche ihn selbst als Unbeteiligten treffen[12]. Das Durchsuchen der Objekte, mithin nicht lediglich das Betreten und das Besichtigen, ist unzulässig[13]. Das Forschen nach unbekannten Gegenständen (nach § 99 Abs. 2 AO unzulässig) erfordert ein eingeleitetes Strafverfahren nebst Durchsuchungsbeschluss[14]. Der Verstoß gegen § 99 Abs. 2 AO führt zu einem Verwertungsverbot[15].

 

Rz. 721

[Autor/Stand] Der Gesetzgeber hat in § 99 AO im Regelfall ("soll") die Ankündigung des Besuchs vorgesehen[17]. Die Ankündigungspflicht des Besuchs nach § 99 Abs. 1 Satz 2 AO kann unterbleiben, wenn der Zweck der Maßnahme gefährdet würde[18]. Ob eine Ankündigung des Besuchs in den diskutierten Flankenschutzfällen demnach unterbleiben kann, ist kritisch zu betrachten[19].

 

Rz. 722

[Autor/Stand] Der BFH[21] hat nunmehr für Fälle der Gefährdung des Zwecks der Maßnahme Vorgaben gemacht. Der BFH (Urteil Rz. 37) führte aus:

"Zwar kann eine Benachrichtigung ausnahmsweise unterbleiben, wenn andernfalls der Zweck der Maßnahme gefährdet oder gar vereitelt würde, z.B. weil das Besichtigungsobjekt verändert oder weggeschafft werden könnte [...]. Diese Gefahr darf aber als vom Gesetz geregelte Ausnahme nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Es darf nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen pauschal angenommen werden, dass eine vorherige Benachrichtigung generell dazu benutzt wird, das häusliche Arbeitszimmer noch entsprechend herzurichten und die Spuren bisheriger Nutzung als Wohnraum zu vernichten [...]. Andernfalls liefe § 99 Abs. 1 Satz 2 AO weitgehend leer. Es ist deshalb zu verlangen, dass im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen, der Kontrollzweck könnte durch die Benachrichtigung über die Besichtigung des häuslichen Arbeitszimmers gefährdet oder vereitelt werden [...]."

 

Rz. 723

[Autor/Stand] Es ist auch festzuhalten, dass es steuerliche Ermächtigungsgrundlagen gibt, die generell das unangekündigte Betreten von Grundstücken und Räumen gestatten, so § 27b Abs. 1 UStG (Umsatzsteuernachschau)[23], § 42g EStG (Lohnsteuernachschau) und § 146b Abs. 1 AO (Kassennachschau), was bei § 99 AO eben nicht der Fall ist.

 

Rz. 724

[Autor/Stand] Eine Belehrungspflicht des Stpfl. über sein Weigerungsrecht zum Betreten der Wohnung nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AO hat der Gesetzgeber in der Norm nach dem Wortlaut nicht vorgesehen[25]. Der BFH[26] (Urteil Rz. 19) ist der Auffassung, dass weder das

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