1. Begriff der Maßnahme

 

Rz. 17

[Autor/Stand] Wie sich bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ergibt, ist der Begriff der "Maßnahme" in der Legaldefinition des § 397 Abs. 1 AO denkbar weit gefasst und damit unbestimmt (zu den Einschränkungen s. Rz. 18). Der Begriff findet sich auch in zahlreichen anderen Vorschriften (vgl. §§ 50, 62 OWiG; §§ 23 ff. EGGVG; § 35 VwVfG). Während die Verwendung derartiger Begriffe im Hinblick auf die Stellung des Bürgers sonst in der Rechtsordnung nicht unbedenklich ist, erweist sie sich bei § 397 AO gerade als Vorteil.

Es gibt kein Tätigwerden der in § 397 Abs. 1 AO genannten Behörden, das sich nicht unter den Maßnahme-Begriff subsumieren lässt. Damit wird der möglicherweise vonseiten der Behörde erhobene Einwand, es habe sich gar nicht oder noch nicht um eine Maßnahme im Sinne der Vorschrift gehandelt, von vornherein ausgeschlossen, bspw., wenn die Behörden behauptet, die Ermittlungen erfolgten im gewöhnlichen Besteuerungsverfahren, an dem der Stpfl. mitzuwirken habe, da noch keine auf Einleitung eines Strafverfahrens gerichtete Maßnahme erfolgt sei.

 

Rz. 17.1

[Autor/Stand] Der Maßnahme-Begriff stellt sich als Oberbegriff für alles das dar, was die Behörden in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gegen den Bürger unternehmen können. Der Begriff ist nicht beschränkt auf Verwaltungsakte (vgl. § 35 VwVfG). Auch rein tatsächliche Vorgänge fallen darunter, soweit sie zumindest auf einem Willensentschluss beruhen (s. aber Rz. 19)[3]. Rechtlich sind sie als Prozesshandlungen zu qualifizieren.

Eine bestimmte Form ist nicht erforderlich. Es ist unerheblich, ob die Maßnahme schriftlich oder mündlich vorgenommen wird. Selbst konkludentes Verhalten kann im Einzelfall ausreichen, um das Vorliegen einer verfahrenseinleitenden Maßnahme anzunehmen. Auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahme (s. Rz. 20) kommt es ebenso wenig wie auf die Aktenkundigkeit (§ 397 Abs. 2 AO) oder die Mitteilung (§ 397 Abs. 3 AO) an[4].

[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.09.2021
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.09.2021
[4] Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 397 AO Rz. 9; Nikolaus in Schwarz/Pahlke, § 397 AO Rz. 4.

2. Objektiv erkennbare Maßnahme

 

Rz. 18

[Autor/Stand] Der weite Begriff der Maßnahme darf nicht uferlos verstanden werden. Eine Einschränkung erfolgt in § 397 Abs. 1 AO durch die Wendung, dass nur eine solche Maßnahme zur Einleitung eines Strafverfahrens führt, "die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen". Maßgeblich ist die Vornahme der ersten verdachtsüberprüfenden, willensgetragenen[2] Maßnahme.

Der Begriff der einleitenden Maßnahme ist damit synonym zu verstehen mit dem Beginn des Strafverfahrens. Dabei wird regelmäßig eine nach außen hin wirkende Maßnahme vorliegen[3], aber auch innerdienstliche Anweisungen (z.B. des Behördenleiters in einer bestimmten Sache strafrechtlich zu ermitteln) sind denkbar[4]. Nicht erforderlich ist, dass die Maßnahme und damit der Beginn der Strafverfolgung für den Beschuldigten selbst erkennbar ist (s. auch die Beispiele Rz. 27 ff.)[5].

 

Rz. 18.1

[Autor/Stand] Das Kriterium der "Erkennbarkeit" wurde von der Rspr. entwickelt und inhaltlich weiter konkretisiert mit dem Ziel, den Übergang steuerrechtlicher zu steuerstrafrechtlichen Ermittlungen transparent zu machen und der mitunter beobachteten Praxis der Steuerbehörden entgegenzuwirken, den Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens möglichst im Unklaren zu lassen, um sich die "Mitwirkung" des Betroffenen bei der Sachverhaltsaufklärung zu sichern.

Eine Verfahrensparallelität und teilweise Überschneidungen von Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren sind im Ausgangspunkt unvermeidlich, da die steuerstrafrechtliche Beurteilung einer Steuerverkürzung (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO) eine Bewertung des aus dem materiellen Steuerrecht folgenden Steueranspruchs voraussetzt. Gehen beide Verfahren nahtlos ineinander über und ermittelt dazu noch ein und dieselbe Stelle der Finanzverwaltung (z.B. Betriebsprüfer oder Steuerfahnder), ist die Frage, wann eine Untersuchung eingeleitet worden ist, oftmals schwer zu entscheiden. Diese Schwierigkeiten werden auch durch § 397 Abs. 1 AO nicht ausgeräumt. Solange Steuerermittlungsverfahren und Steuerstrafverfahren von derselben Behörde betrieben werden, sind Misshelligkeiten nicht zu vermeiden[7].

Immerhin spricht die Norm aber für einen objektivierten Ansatz, um vor allem bei doppeldeutigen Ermittlungshandlungen den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung bestimmen zu können (s. Rz. 23).

 

Beispiel

Bei der Überprüfung der Einkommensteuererklärung des S vermerkt der zuständige Sachbearbeiter in der Finanzamtsakte, er gehe davon aus, dass S weitere, von ihm nicht angegebene Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt habe. Deshalb sei ein Kontenabrufverfahren (§ 93b AO) erforderlich, um sodann die mit S in Geschäftsbeziehungen stehenden Kreditinstitute "gem. § 93 Abs. 1 AO" um weitere Auskünfte zu ersuchen, da andere Ermittlun...

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