a) Keine Ermessensreduzierung auf null

 

Rz. 62

[Autor/Stand] In Literatur und Rspr. wurde früher mitunter vertreten, dass § 396 AO bei schwierigen steuerlichen Vorfragen eine Aussetzungspflicht vorschreibe[2]. Das OLG Hamm[3] nahm in einer alten Entscheidung an, dass bei besonders komplizierten Sachverhalten eine Rechtspflicht zur Aussetzung zwecks weiterer Aufklärung besteht.

Demgegenüber wird heute von der h.M. im Hinblick auf den Wortlaut der Norm und den Grundsatz der Unabhängigkeit des Strafrichters von Entscheidungen im Besteuerungsverfahren eine Pflicht zur Verfahrensaussetzung im Wege einer Ermessensreduzierung auf null abgelehnt[4]. Nach Ansicht des BFH[5] sollte das Strafverfahren jedoch regelmäßig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens ausgesetzt werden, wenn sich schwierige steuerrechtliche Fragen stellen. Das FG dürfe unter diesen Umständen dann aber nicht seinerseits das Verfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens aussetzen.

 

Rz. 63

[Autor/Stand] In den Parteispendenverfahren wurde von der Literatur die Verfahrensaussetzung zwingend gefordert, soweit die steuerliche Abzugsfähigkeit der an Körperschaften geleisteten Spenden als Betriebsausgaben streitig war[7].

Beantrage der Beschuldigte die Aussetzung des Strafverfahrens, sei kein Abwägungsspielraum mehr vorhanden, weil der Betroffene auf sein Beschleunigungsrecht verzichtet habe, so dass mit der Aussetzung die zugleich persönlichkeitsschonendste und die rechtseinheitliche Lösung gesichert sei[8]. Die Vorschrift ermächtige nicht zur Aussetzung nach dem Ermessen der zuständigen Organe, sondern verpflichte dazu, von dem Ermessen dem Gesetzeszweck entsprechend Gebrauch zu machen[9]. Nach Heuer[10] besteht eine Aussetzungspflicht ferner, wenn ein Strafgericht von der vorgefundenen Rspr. des BFH abweichen wolle.

Zudem werde bei Ablehnung der Aussetzung das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, denn das nachgängige finanzgerichtliche Urteil wirke sich nicht mehr auf die strafgerichtliche Entscheidung aus, die Verurteilung sei mangels Wiederaufnahmemöglichkeit irreparabel[11]. Der Erlass einer Strafe, nach Feststellung des Nichtbestehens der Steuerschuld, wäre dann nur im Wege der Gnade erreichbar. Eine Gnadenablehnung sei nach der Rspr. jedoch nicht justiziabel, so dass diese Lösung nicht befriedige. Das Strafurteil würde durch das Steuerurteil sinnlos[12]. Bei Ablehnung der Aussetzung werde den Spendern der gesetzliche Richter (scil. der Finanzrichter) entzogen.

Die Praxis verfuhr im Übrigen in den Parteispendenverfahren eher umgekehrt, indem das Besteuerungsverfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt wurde, um die weitreichenden Ermittlungsmöglichkeiten des Strafverfahrens auszuschöpfen[13].

 

Rz. 64

[Autor/Stand] Diese Diskussion, die von der Befürchtung getragen war, dass der BFH die Abziehbarkeit verdeckter Parteispenden anders beurteilen könne als der BGH, ist mittlerweile durch die höchstrichterliche Klärung überholt[15]. Eine generelle Rechtspflicht der Aussetzung bei komplizierten steuerlichen Vorfragen kann daher angesichts der eindeutigen höchstrichterlichen Rspr. nicht mehr gefordert werden. Dies widerspräche sowohl dem Wortlaut des § 396 AO als auch dem Grundsatz der Unabhängigkeit des Strafrichters von Entscheidungen im Besteuerungsverfahren. Auch die generelle Forderung nach einer Ermessensreduzierung auf null bei komplexen oder offenen Sach- und Rechtsfragen liefe im Ergebnis auf dasselbe hinaus.

Sie wäre auch nicht praktikabel, da es aus der Natur der Sache im Steuerstrafverfahren, wenn das Besteuerungsverfahren nicht bereits rechtskräftig entschieden ist, um das Bestehen eines zumeist streitigen Steueranspruchs geht. Festzuhalten bleibt, dass das Kriterium "schwierige steuerliche Vorfrage" nicht als allein ausschlaggebender Aussetzungsgrund taugt, hinzukommen müssen vielmehr sonstige Umstände[16] (s. Rz. 41, 43, 50). Ebenso wenig zwingt allein der Umstand, dass die FinB die Vollziehung des Steuerbescheids ausgesetzt hat oder wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtswidrigkeit hätte aussetzen müssen (vgl. auch § 361 Abs. 2 Satz 2 AO und § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO) zur Verfahrensaussetzung[17].

Andererseits gilt es zu bedenken, dass sich selbst eine ständige Verwaltungspraxis oder die Rspr. des BFH zu bislang "geklärten Rechtsfragen" häufig ändert. Schließlich ist in Erwägung zu ziehen, dass sich – jedenfalls nach h.M. – ein strafrechtliches Fehlurteil bei späterem divergierenden Finanzurteil im Wiederaufnahmeverfahren nicht mehr revidieren lässt (s. Rz. 83).

 

Rz. 65

[Autor/Stand] Einstweilen frei.

 

Rz. 66

[Autor/Stand] Naheliegen kann eine Aussetzung, wenn eine umstrittene Rechtsfrage vor der höchst-(finanz-)richterlichen Klärung steht oder wenn es sich um eine neue Rechtsfrage handelt, die bislang noch völlig ungeklärt ist und dennoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer vorsätzlich falschen steuerlichen Behandlung durch den Stpfl. besteht. Dies kann der Fall sein, wenn der Stpfl. Ein...

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