Rz. 582

[Autor/Stand] Die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO wird nur dem Beschuldigten gegenüber ausgelöst, dem die Maßnahme persönlich eröffnet wird.

Bei Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen sind das diejenigen Personen, denen der Beschluss unmittelbar ausgehändigt wird. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Maßnahmen, z.B. der Durchsuchungsbeschluss, schon keine hinreichend konkrete Tatbeschreibung enthalten (s. nachst. Rz. 583 ff.). Eine derart pauschale Mitteilung der Verfahrenseinleitung kann bereits objektiv niemanden "ins Bild setzen", also auch denjenigen nicht, dem sie unmittelbar gemacht wird.

 

Rz. 583

[Autor/Stand] Eine unmittelbare Aushändigung bewirkt aber auch in subjektiver Hinsicht keine Bekanntgabe i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO, wenn der Personenkreis nicht hinreichend konkretisiert ist.

Häufig werden z.B. Durchsuchungsbeschlüsse als Einleitungsmaßnahme "gegen die Verantwortlichen der Firma X und andere" gerichtet, ohne dass dieser Personenkreis in der Begründung näher bestimmt wird[3] oder die Namen von Beschuldigten bis zu diesem Zeitpunkt in den Ermittlungsakten auftauchen.

Der Begriff der "Verantwortlichkeit" ist mehrdeutig und zur Bestimmbarkeit einer Person bzw. eines Personenkreises ungeeignet[4]. Einmal ist bereits unklar, ob der Begriff zivil- oder strafrechtlich zu verstehen ist[5]. Stützt sich der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, was in der Praxis der Regelfall ist, auf § 103 StPO, dann kann der Begriff der "Verantwortlichkeit" kaum strafrechtlich verstanden werden, denn allein durch den Umstand, dass der Beschluss auf § 103 StPO gestützt ist, soll gerade zum Ausdruck gebracht werden, dass beim Unverdächtigen, also bei dem strafrechtlich gerade Nicht-Verantwortlichen, durchsucht werden soll. Damit bleibt also lediglich die Möglichkeit, den Begriff der "Verantwortung" zivilrechtlich aufzufassen. Aber selbst dort ist er mehrdeutig[6]. Nimmt man die naheliegendste Möglichkeit, dann soll die Verwendung des Begriffs in den genannten Durchsuchungsbeschlüssen in der Praxis wohl als Sammelbezeichnung für Vertretungs- und/oder Geschäftsführungs- bzw. Entscheidungsbefugnisse dienen. Eine Sammelbezeichnung der beschriebenen Art ist dem Zivilrecht jedoch fremd. Dort wird nämlich begrifflich stets klar zwischen Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis bzw. spezieller Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Teilhabe an Beschlüssen differenziert (vgl. etwa die §§ 114 ff., § 125 HGB; §§ 35 ff. GmbHG; §§ 76 ff., §§ 108, 111, 112 AktG). Die Verwendung des Begriffs "Verantwortliche" in den Durchsuchungsbeschlüssen verwischt diese nicht nur zivilrechtlich anerkannten klaren Begriffsinhalte. Es erscheint unsicher, ob die Mitteilung der Durchsuchungsbeschlüsse sich gegen Vertretungs- und/oder Geschäftsführungs- oder allgemein gegen Entscheidungsbefugte richtet.

 

Rz. 584

[Autor/Stand] Eine hinreichende Konkretisierung des Begriffs lässt sich auch dann nicht erreichen, wenn man zur Auslegung die in einem Durchsuchungsbeschluss zum Teil üblichen Zeitangaben der genannten Art heranzieht ("... wegen Steuerhinterziehungen in den Jahren ..."). Versteht man den Begriff der Verantwortlichen zivilrechtlich, was zur Vermeidung einer Widersprüchlichkeit in sich in den Fällen des § 103 StPO zwingend erscheint, dann ist eine Begrenzung des strafrechtlichen Tatzeitraums zur Konkretisierung dieses zivilrechtlichen Begriffs nicht geeignet. Zivilrechtliche und strafrechtliche "Verantwortung" sind ungeachtet der jeweiligen Mehrdeutigkeit zwei verschiedene Paar Schuhe.

 

Rz. 585

[Autor/Stand] Sind Durchsuchungsbeschlüsse ausnahmsweise auf § 102 StPO gestützt, dann lässt sich eine Zeitangabe in der Begründung der Durchsuchungsbeschlüsse der genannten Art zur Konkretisierung verwenden, weil der Begriff der Verantwortung bei auf § 102 StPO gestützten Durchsuchungsbeschlüssen tendenziell gegen Verdächtige gerichtet, d.h. klar strafrechtlich orientiert ist. Die Zeitangabe kann daher in diesen Fällen als Eingrenzung des Tatzeitraums dienen. Indes muss der Durchsuchungsbeschluss – woran es in der Praxis häufig fehlt – nach dem Prinzip der Einzelschuld die strafrechtliche Verantwortung des einzelnen Adressaten konkretisieren. Dazu gehören eine klare Tatbeschreibung und eine klare Umschreibung der Täterschafts-/Teilnahmeform. Die individuelle Schuld muss konkretisiert sein. Der bloße abstrakte Hinweis auf eine Tatbeteiligung genügt nicht. Der Verdächtige kann dann nicht ausmachen, um welche Verhaltensweisen es geht. Damit fehlt es an einer für § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO brauchbaren Beschreibung einer Tathandlung. Aus den genannten Gründen scheitert eine Konkretisierung des historischen Geschehnisses i.S.d. § 264 StPO. Derartige Durchsuchungsbeschlüsse vermögen daher die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO nicht auszulösen.

 

Rz. 586

[Autor/Stand] Im Schrifttum wird vor allem in Bezug auf § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO zum Teil angenommen (s. Rz. 4...

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