1. Grundsatz

 

Rz. 116

[Autor/Stand] § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO sind Sonderdelikte (s. Rz. 87)[2]. Täter ist jeder, der seine Pflicht verletzt, die FinB über steuerlich erhebliche Tatsachen in Kenntnis zu setzen bzw. Steuerzeichen oder -stempler zu verwenden, und dadurch den Verkürzungserfolg bzw. den ungerechtfertigten Steuervorteil herbeiführt[3]. Entscheidend sind damit die Rechtspflicht zur Abwendung des Erfolgs und die faktische Möglichkeit, den Erfolg durch pflichtgemäßes Verhalten abwenden zu können. Die in § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO für die täterschaftliche Verantwortung vorausgesetzte Pflicht ist auch nach Ansicht des BGH besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB (s. Rz. 124 ff.).

[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[2] S. zur Gegenansicht Pelz in Leitner/Rosenau, § 370 AO Rz. 116 m.w.N. und Rz. 182.
[3] Muhler in Müller-Gugenberger7, Rz. 44.6.

2. Mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 StGB)

 

Rz. 117

[Autor/Stand] Der mittelbaren Täterschaft kommt für die Begründung der Täterschaft keine Bedeutung zu: Liegen die genannten Voraussetzungen (s. Rz. 116) vor, ist es gleichgültig, ob die Erfolgsabwendung persönlich oder durch Einschaltung einer Mittelsperson erfolgt (zum Konkurrenzverhältnis s. aber Rz. 111.1, 912)[2]. Das Gleiche gilt für § 25 Abs. 2 StGB, wenn von mehreren Beteiligten jeder selbst verpflichtet ist, den Erfolg abzuwenden, und dazu auch allein in der Lage ist. Die Mittäterschaft hat Bedeutung, wenn mehrere Verpflichtete eine Pflicht nur gemeinsam erfüllen können[3]. Zur Begründung der Strafbarkeit ist dann die Zurechnung des Unterlassens des jeweils anderen nach allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 83) nötig und möglich. Dabei spielt es keine Rolle, wer von mehreren Beteiligten zuerst den Entschluss äußert, seine Pflicht nicht erfüllen zu wollen[4]. Zur Gestellungspflicht bei der Einfuhr von Waren s. Rz. 83, 88.

[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[2] Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rz. 175; anders BGH v. 13.9.1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257 (266 f.).
[3] Roxin, Strafrecht AT II, § 31 Rz. 172 ff.
[4] Ransiek, ZGR 1999, 613 (640 f.); a.A. Samson, StV 1990, 182 (185).

3. Faktische Geschäftsführer und Strohleute als Täter nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO

a) Faktische Geschäftsführer als Verfügungsberechtigte nach § 35 AO

 

Rz. 118

[Autor/Stand] Ist eine faktische Organperson (zur Definition s. Rz. 109 ff.) verpflichtet, die FinB über steuerlich erhebliche Tatsachen in Kenntnis zu setzen, ist sie als Täterin einer Steuerhinterziehung anzusehen. Außerhalb des Steuerstrafrechts sieht insb. die Rspr. Personen, die faktisch die Aufgaben des vertretungsberechtigten Organs wahrnehmen, ohne jedoch formell als Vertretungsorgan bestellt worden zu sein, als Adressaten von Strafnormen an, die sich nach ihrem Wortlaut allein an den "Geschäftsführer" einer GmbH, "Mitglieder des Vorstands" einer AG oder "Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs" einer Kapitalgesellschaft richten[2].

 

Rz. 118.1

[Autor/Stand] Begründet wird diese Auffassung im Wesentlichen nur damit, dass ansonsten ungerechte Ergebnisse drohen, und zwar insb. dann, wenn der formal bestellte Geschäftsführer bloßer Strohmann des faktisch Herrschenden sei. Beim Strohmann würde i.d.R. der Vorsatz auf die Verwirklichung des jeweiligen Tatbestands fehlen, so dass bei nur vorsätzlich, nicht aber fahrlässig zu verwirklichenden Tatbeständen eine Strafbarkeit nicht in Betracht kommt. Dann aber wäre der faktisch Herrschende ebenfalls straflos, da eine teilnahmefähige Haupttat i.S.d. §§ 26, 27 StGB nicht vorliegt. Um dieses Ergebnis, das den "wahren", "eigentlichen" Verantwortlichen strafrechtlich nicht erfasst, zu vermeiden, soll auch der faktisch Herrschende als Adressat der die Mitglieder des Vertretungsorgans treffenden Sonderdelikte angesehen werden[4].

 

Beispiel 3

A war Alleinaktionär einer AG. Formell waren andere Personen zu Mitgliedern des Vorstandes bestellt, in Wirklichkeit war aber A alleiniger Leiter des Unternehmens, der auch bis in Einzelheiten Anordnungen traf.

Der BGH führte aus: "Wer so die Stellung eines Vorstandsmitglieds tatsächlich innehat und als solches tätig wird, den trifft mit Fug auch strafrechtlich der Vorwurf des Rechtsverstoßes, wenn er strafbewehrten Geboten oder Verboten, denen der Vorstand unterliegt, zuwiderhandelt – unbeschadet der etwaigen Verantwortlichkeit der förmlich bestellten Vorstandsmitglieder. Die gegenteilige Ansicht könnte in Fällen wie dem vorliegenden zu ungerechten Ergebnissen führen [...] Wer unter Missbrauch wirtschaftlicher Macht und rechtlicher Gestaltungsmöglichkeit Strohmänner als Vorstandsmitglieder vorschiebt, könnte so der gerechten Strafe entkommen. Handelsrechtliche Vorschriften dienen jedoch dem redlichen Geschäftsverkehr. Sie sind von Rechts wegen kein Mittel, die wahre Sachlage zu verschleiern und sind nicht als Handhabe dazu bestimmt, sich aller Verantwortung zu entziehen. Sie sind kein Schild für den Rechtsmißbrauch und hindern daher den Durchgriff auf den tatsächlich Handelnden und mithin Verantwortlichen strafrechtlich so wenig wie bürgerlich-rechtlich (siehe dazu BGH v. 19.11.1957 – 1 StR 438/57, BGHSt 11, 102)."

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