Rz. 87

[Autor/Stand] Im Hinblick auf die unterschiedlichen Tatbestandsalternativen des § 370 AO sind die allgemeinen Regeln (s. Rz. 80 ff.) zu ergänzen. Denn bei den Unterlassungsvarianten (§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO) kann nur derjenige täterschaftlich verantwortlich sein, der durch pflichtwidriges Verschweigen steuerlich erheblicher Tatsachen bzw. durch pflichtwidriges Unterlassen der Verwendung von Steuerzeichen oder -stemplern Steuern verkürzt. Nur derjenige, dem selbst steuerliche Erklärungs- bzw. Verwendungspflichten obliegen, kann damit Täter sein, nicht aber derjenige, den keine (eigenen) Pflichten treffen[2]. § 370 AO ist jedenfalls insoweit ein Sonderdelikt[3]. Aufgrund des Wortlauts ist eindeutig auch die Mittäterschaft und die mittelbare Täterschaft von Personen ausgeschlossen, denen keine Pflichten zur Erklärung oder zur Verwendung von Steuerzeichen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO obliegen[4].

 

Rz. 88

[Autor/Stand] Vor allem aus §§ 34, 35 AO folgt dabei aber, dass nicht allein der Steuerschuldner (§ 43 AO) selbst, sondern auch andere Personen solchen Erklärungs- oder Verwendungspflichten unterworfen sein können.

"Eine Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO [...] setzt ein ‚pflichtwidriges Unterlassen‘ voraus. Täter einer solchen Tat kann nur sein, wer zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO Anm. 45; vgl. auch BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371, 375, 378; BGH v. 8.10.1969 – 2 StR 317/69; BFH v. 7.11.1973 – I R 92/72, BFHE 111, 7). Diese Voraussetzung muss auch bei einem Mittäter vorliegen [...]"[6].

 

Beispiel 5

Werden Zigaretten ohne Gestellung über die "grüne Grenze" in das Gebiet der EU gebracht und deshalb Einfuhrabgaben nicht festgesetzt, kann täterschaftlich nur der nach Art. 139 UZK (zuvor Art. 40 ZK) Gestellungspflichtige Täter sein. Gestellungspflichtig können nach Auffassung des BGH freilich nicht nur die Fahrer, sondern auch ihre Hintermänner sein, was das neue Recht jetzt ausdrücklich vorsieht (§ 139 Abs. 1 UZK).

 

Rz. 89

[Autor/Stand] Eine Teilnahmestrafbarkeit durch aktives Tun (zum Unterlassen s. Rz. 84 ff.) ist dagegen auch ohne eine besondere steuerliche Verpflichtung bei § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO möglich, wenn etwa der Erklärungspflichtige zu seiner Unterlassungstat von einem Dritten angestiftet wird. Die in § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO für die täterschaftliche Verantwortung vorausgesetzte Pflicht ist nunmehr auch nach Ansicht des BGH besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB[8] (s. Rz. 124 f.).

[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[2] So zu Recht BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, NJW 2013, 2449 (2452) Rz. 64 = EWiR 2013, 537 (Brammsen) = ZWH 2013, 405 m. Anm. Ceffinato = wistra 2013, 314 = wistra 2014, 100 gegen die Vorinstanz; Krumm in Tipke/Kruse, § 370 AO Rz. 23; Reichling/Lange, NStZ 2014, 311 ff.
[3] BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, wistra 2003, 100 (102); BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, wistra 1987, 147; Peters in HHSp., § 370 AO Rz. 571; Höll, wistra 2013, 455 (458).
[4] Für die Mittäterschaft BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, NJW 2003, 2924 = UR 2003, 535; BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, wistra 2003, 446 (447); BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR StGB § 25 II Mittäter 1; im Hinblick auf EuGH v. 4.3.2004 – C 238/02, C 246/02, wistra 2004, 376 für § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; a.A. Bender, wistra 2004, 368; Bender, wistra 2006, 41 (42 f.); vgl. auch BFH v. 20.7.2004 – VII R 38/01, ZfZ 2005, 13 (15); Kuhlen in FS Jung, S. 445; s. dagegen zu Recht BGH v. 1.7.2007 – 5 StR 372/06, wistra 2007, 224 = DB 2005, 266: mittelbarer Täter nur der Gestellungspflichtige.
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[6] BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, wistra 1987, 147.
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[8] BGH v. 23.10.2018 – 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 = NJW 2019, 1621 zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; m. Anm. Feindt/Rettke, wistra 2019, 331; Ransiek, JR 2019, 345; Weidemann, wistra 2019, 422; BGH v. 13.3.2019 – 1 StR 636/18; BGH v. 18.3.2019 – 1 StR 50/19; BGH v. 22.10.2019 – 1 StR 199/19 Rz. 19; a.A. noch BGH v. 25.1.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 m. Anm. Grunst, NStZ 1998, 548; für § 370 Abs. 1 Nr. 1 BGH v. 6.9.2016 – 1 StR 575/15 Rz. 35, wistra 2017, 104 (107).

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