Rz. 386

[Autor/Stand] Keine Steuern sind die eigens in § 3 Abs. 3 AO aufgeführten und definierten steuerlichen Nebenleistungen, also Verzögerungsgelder (§ 146 Abs. 2b AO) Verspätungszuschläge (§ 152 AO) oder -gelder (§ 22a Abs. 5 EStG)[2], Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO, Zinsen (§§ 233–237 AO), Säumniszuschläge (§ 240 AO), Zwangsgelder (§ 329 AO), Kosten (§§ 89, 178, 178a und §§ 337–345 AO) sowie Zinsen i.S.d. UZK. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AO finden jedoch die Vorschriften der AO vorbehaltlich des Rechts der EU auf diese Nebenleistungen (nach Satz 2 mit Ausnahme der besonderen Verfahrensvorschriften des Dritten bis Sechsten Abschnitts des Vierten Teils) sinngemäße Anwendung. Daraus wird teilweise auch die Anwendbarkeit des Achten Teils der AO für die steuerlichen Nebenleistungen gefolgert, so dass sie von § 370 AO erfasst würden[3].

 

Beispiel 17

Das FA erlässt dem A (§ 227 AO) Umsatzsteuer i.H.v. 12.000 DM und Säumniszuschläge (§ 240 AO) i.H.v. 10.000 DM aufgrund einer Täuschung des A. Dieser hatte behauptet, das von ihm betriebene Hotel sei in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und bei Nicht-Erlass der Steuern und Zuschläge sei ein Tilgungs- und Finanzierungsplan mit den Gläubigern gefährdet. In Wirklichkeit hatte A das Hotel schon für 1,2 Mio. DM verkauft, von denen er selbst 50.000 DM in bar erhalten hatte. Bevor die Tat des A entdeckt wird, erstattet er Selbstanzeige nach § 371 AO.

Das BayObLG verneint (hier entgegen dem Interesse des A) die Anwendbarkeit des § 370 AO auf die Säumniszuschläge. Stattdessen wird § 263 StGB bejaht, für den § 371 AO nicht angewendet wird. Der BGH nimmt insoweit in einer neueren Entscheidung allerdings zu Recht keine Strafbarkeit nach § 263 StGB an[4].

Das BayObLG geht zu Recht davon aus, dass die Anordnung der sinngemäßen Anwendung in § 1 Abs. 3 Satz 1 AO nicht ohne weiteres die Anwendbarkeit des § 370 AO auf steuerliche Nebenleistungen begründet, sondern zusätzliche Voraussetzung ein gleichgerichtetes Rechtsschutzinteresse ist. Nur soweit steuerliche Nebenleistungen auch zum Schutzgut "vollständiges Steueraufkommen" gehören, ist die Anwendbarkeit des § 370 AO zu bejahen, nicht aber für alle Zahlungsansprüche des Fiskus aus dem Steuerrechtsverhältnis. Der Zweck der steuerlichen Nebenleistungen muss also dem einer Steuer entsprechen und der Einnahmeerzielung dienen. Für diese Ansicht spricht weiterhin, dass es in den nach § 1 Abs. 3 AO sinngemäß anwendbaren Abschnitten der AO Sonderbestimmungen gibt, die ausdrücklich steuerliche Nebenleistungen nennen (§ 32 Nr. 1, § 37 Abs. 1 und 2, § 46 Abs. 1 AO). Das aber wäre überflüssig, wenn die sinngemäße Geltung dieser Normen schon allein durch § 1 Abs. 3 AO angeordnet wäre.

 

Rz. 387

[Autor/Stand] Der BGH[6] ist der Auffassung, dass die Abwendung der Beitreibung von Säumnis- und Verspätungszuschlägen sowie Zwangsgeldern durch Täuschung weder nach § 370 AO noch nach § 263 StGB strafbar ist. Eine Strafbarkeit nach § 263 StGB wird wegen des erkennbaren gesetzgeberischen Willens zur abschließenden Regelung derartiger Fälle durch die AO verneint. Ergänzend wird darauf verwiesen, dass straf- und ordnungsrechtliche Sanktionen (wie z.B. Geldstrafen, Geldbußen, Einziehung, Verfall [jetzt: Einziehung von Taterträgen] oder Verwarnungsgeld) wegen ihres Repressions- und Präventionscharakters nicht dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff und damit nicht dem Schutzbereich des § 263 StGB unterfallen. Entsprechendes gelte für Säumnis- und Verspätungszuschläge sowie Zwangsgelder, bei denen der Beuge- und Sanktionscharakter, nicht ihre wirtschaftliche Bedeutung als staatliche Einnahmen, im Vordergrund stehe[7].

 

Rz. 388

[Autor/Stand] Hingegen werden vom BGH[9] Zinsen auf Steuererstattungsbeträge nach § 233a Abs. 3 und 5 AO als Steuervorteile i.S.d. § 370 AO angesehen. Aus der Regelung ergebe sich unmittelbar, dass es sich bei der Verzinsung von Steuererstattungen um Steuervorteile handele. Für die Festsetzung der Zinsen würden die für Steuern geltenden Normen entsprechend gelten (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO). Im Gegensatz zu Säumnis- und Verspätungszuschlägen sowie Zwangsgeldern stehe bei Zinsen auf Steuererstattungen die wirtschaftliche Bedeutung des Zeitpunkts von Steuerzahlungen für die staatlichen Einnahmen im Vordergrund. Damit gehöre die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen zum geschützten Rechtsgut des § 370 AO. Diese Auffassung verstößt nicht gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, da der Gesetzgeber selbst den Anwendungsbereich des § 370 AO durch § 1 Abs. 3, § 239 Abs. 1 Satz 1 AO erweitert hat[10].

 

Rz. 389– 390

[Autor/Stand] Einstweilen frei.

[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.08.2020
[2] Vgl. dazu BFH v. 20.2.2019 – X R 28/17, BFHE 264, 165 ff.
[3] So Scheurmann-Kettner in Koch/Scholtz5, § 370 AO Rz. 31.
[4] BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381 = NJW 1998, 1568.
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.08.2020
[6] BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381 = NJW 1998, 1568.
[7] Krit. zum Säumniszuschlag Peters in HHS...

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