Rz. 1758

[Autor/Stand] Zentral ist die Frage, wem die Anrechnung der von dem Emittenten der Aktie erhobenen Kapitalertragsteuer zusteht. Maßgeblich ist dafür, wer die Einkünfte i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt hat. Nach § 20 Abs. 5 Satz 1 und 2 EStG (= § 20 Abs. 2a EStG a.F.) ist dies der Anteilseigner als derjenige, dem die Anteile im Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses, also dem Hauptversammlungstag, gem. § 39 AO zuzurechnen sind. Das zivilrechtliche Eigentum geht bei börsennotierten Aktien, die in Form von Globalurkunden bei Clearstream Banking verwahrt werden, erst mit der entsprechenden Umbuchung durch Clearstream über, bei Cum-Ex-Geschäften also erst nach dem Dividendenstichtag. Fraglich ist also allein, ob der Erwerber in einer Leerverkaufskonstellation bereits vor dem Dividendenstichtag, mit Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts mit dem Leerverkäufer wirtschaftliches Eigentum (§ 39 Abs. 2 AO) erwerben kann. Der Leerkäufer müsste die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut in der Weise ausüben, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließen kann.[2]

 

Rz. 1759

[Autor/Stand] In seiner Entscheidung vom 15.12.1999[4] hat der BFH zum sog. "Dividendenstripping" entschieden, dass der Erwerber beim Aktienerwerb wirtschaftliches Eigentum im Allgemeinen bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts erlange, da ihm "nach den einschlägigen Börsenusancen und den üblichen Abläufen die mit den Anteilen verbundenen Gewinnansprüche regelmäßig nicht mehr entzogen werden" können und er bereits in die Lage versetzt worden sei, die Aktien für längere Zeit in seinem Eigenbestand zu belassen, sie an Dritte weiterzuveräußern oder sie in sonstiger Weise beliebig zu nutzen. Der Umstand, dass die entsprechende Umbuchung ggf. erst zwei Tage nach dem Vertragsabschluss vorgenommen worden ist, beeinflusst den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht. Das Urteil hat der BFH in späteren Entscheidungen bestätigt.[5] In seiner Entscheidung vom 16.4.2014[6] hat der BFH klargestellt, dass hinsichtlich dieser Grundsätze kein Unterschied zwischen Börsengeschäften und außerbörslichen Geschäften (sog. OTC-Geschäfte) bestehe[7].

 

Rz. 1760

[Autor/Stand] Die BFH-Rspr. zum wirtschaftlichen Eigentum beim Dividendenstripping konnte indes nicht ohne weiteres auf Leerverkaufsgestaltungen zu übertragen werden.[9] Hier hat der Aktieninhaber sich zum Dividendenstichtag in noch keine Rechtsposition begeben, die eine Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums zum Erwerber – unter Aberkennung des wirtschaftlichen Eigentums beim Aktieninhaber – rechtfertigen könnte. Der Aktieninhaber ist nach wie vor zivilrechtlicher und wirtschaftlicher Eigentümer. In der Literatur wurde vielfach angenommen, der Erwerber könne dennoch bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts mit dem Leerverkäufer wirtschaftliches Eigentum erwerben, was eine doppelte Zurechnung zur Folge habe[10]. Die These von einem doppelten wirtschaftlichen Eigentum war in der Literatur sehr umstritten[11]. Auch der Gesetzgeber ging bei Einführung des JStG 2007[12] aber offensichtlich davon aus, dass der Leerverkäufer wirtschaftliches Eigentum und damit einen Anrechnungsanspruch erwerben könne.

 

Rz. 1761

[Autor/Stand] Der BFH hat sich in seiner Entscheidung vom 16.4.2014[14] erstmals mit Aktienerwerben um den Dividendenstichtag mit möglicherweise nicht erfolgter Kapitalertragsteuerabführung beschäftigt. Darin hat er entschieden, dass wirtschaftliches Eigentum bei Cum-Ex-Geschäften mit Aktien ausscheide, wenn der Erwerb der Aktien mit dem "durch ein Kreditinstitut initiiertes und modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept verbunden ist, nach welchem der Initiator den Anteilserwerb fremdfinanziert, der Erwerber die Aktien unmittelbar nach ihrem Erwerb dem Initiator im Wege einer sog. Wertpapierleihe (bis zum Rückverkauf) weiterreicht und der Erwerber das Marktpreisrisiko der Aktien im Rahmen eines sog. Total Return Swap-Geschäfts auf den Initiator überträgt". Die Aussagen sind auf eine spezifische, "modellhafte" Gestaltung begrenzt. Die Frage, ob bei einem Leerverkauf der Erwerber ebenfalls bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Kaufvertrags wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien werden kann, hat der BFH in seinem Urteil vom 16.4.2014 ausdrücklich offengelassen[15]. Nach Ansicht des BFH ging jedoch der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2007[16] offenbar davon aus, dass auch im Falle eines Leerverkaufs wirtschaftliches Eigentum erworben werden kann.

 

Rz. 1762

[Autor/Stand] Während die Aussage des BFH vom 16.4.2014[18] auf spezifische, "modellhafte" Gestaltungen beschränkt war, ist das Hessische FG in seinem Urteil vom 10.2.2016[19] darüber hinausgegangen, indem es einen vorzeitigen Übergang wirtschaftlichen Eigentums bei außerbörslichen Aktiengeschäften kategorisch verneint.[20] Letzteres wurde durch das LG Bonn in der Entscheidung v...

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