Rz. 1763

[Autor/Stand] Die Vorschriften über die Anrechnung bzw. Erstattung der Kapitalertragsteuer setzen weiter voraus, dass diese "erhoben wurde". Insoweit ist geklärt, dass "erhoben"nur den Einbehalt der Steuer durch die verpflichtete Stelle, nicht jedoch auch die Abführung an das FA voraussetzt[2].

 

Rz. 1764

[Autor/Stand] Mit Schreiben vom 5.5.2009[4] hat das BMF dazu Stellung genommen, wie im Hinblick auf die Kapitalertragsteuer bei Leerverkäufen von Aktien über den Dividendenstichtag zu verfahren ist, wenn die für den Verkäufer der Aktien den Verkaufsauftrag ausführende Stelle kein inländisches Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7b EStG ist. In derartigen Fällen bestehe die Gefahr einer mehrfachen Bescheinigung von Kapitalertragsteuer in Steuerbescheinigungen, obwohl nur einmal Kapitalertragsteuer zu Lasten des rechtlichen Eigentümers der Aktien einbehalten worden ist und kein weiterer Abzug von Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG erfolgt sei. Das BMF vertritt in dem Schreiben vom 5.5.2009 dazu folgende Auffassung:

"Bestehen zwischen dem Leerverkäufer und dem Käufer Absprachen, die einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Leerverkauf und dem Kauf begründen, ist dem Käufer in den o.g. Fällen bekannt, dass ihm eine Steuerbescheinigung ausgestellt wurde, obwohl die darin ausgewiesene Kapitalertragsteuer nicht erhoben bzw. abgeführt worden ist. In diesen Fällen ist die in der Bescheinigung ausgewiesene Kapitalertragsteuer nicht gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG, § 31 KStG anzurechnen, weil sie nicht erhoben worden ist."

 

Rz. 1765

[Autor/Stand] Eine Anrechnung bzw. Erstattung der in dieser Steuerbescheinigung angeführten Kapitalertragsteuer soll nach dem BMF-Schreiben nur erfolgen, wenn neben der Steuerbescheinigung die Bescheinigung eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers (sog. Berufsträgerbescheinigung) eingereicht wird, in der Folgendes bestätigt wird:

"Es liegen mir auf Grund des mir möglichen Einblicks in die Unternehmensverhältnisse und nach Befragung des Steuerpflichtigen keine Erkenntnisse über Absprachen des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den über den Dividendenstichtag vollzogenen Erwerb der Aktien im Sinne der Steuerbescheinigung sowie entsprechende Leerverkäufe, bei denen § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V. mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG keine Anwendung gefunden hat, vor."

Aus dem Gesetz ergibt sich die Versagung der Anrechnung im Falle von Absprachen zwischen Leerverkäufer und Erwerber nicht. Meines Erachtens ist daher im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) zumindest sehr fraglich, ob die Finanzverwaltung nicht den Bereich der Gesetzesanwendung verlässt und in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers eingreift, indem sie de facto eine zusätzliche (negative) Tatbestandsvoraussetzung schafft[6].

 

Rz. 1766

[Autor/Stand] Das LG Köln hat in seinem Beschluss vom 16.7.2015[8] zwischen auf die Dividende erhobener und abgeführter Kapitalertragsteuer und der Dividendenausgleichszahlung differenziert. Auch bei wirtschaftlichem Eigentum sei die Kapitalertragsteuer durch die Aktiengesellschaft nur auf die Dividende, nicht jedoch auf die Dividendenausgleichszahlung erhoben worden. Es fehle insoweit am Merkmal der "erhobenen" Steuer.

Dieser Aspekt wird auch vom LG Bonn in seiner Entscheidung vom 18.3.2020 und vom BGH in seiner Entscheidung vom 28.7.2021[9] hervorgehoben. Für die Erhebung der Steuer i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG (VZ 2007–2011) reiche es nicht aus, dass an den Leerkäufer von der Depotbank des Leerverkäufers ein Betrag in Höhe der Nettodividende ausgezahlt werde.[10] Mit dieser Auszahlung sei der Einbehalt von Kapitalertragsteuer gerade nicht verbunden.[11] Eine Zurechnung bzw. eine Verdoppelung des Steuerabzugs auf die von dem Emittenten der Aktien ausgeschüttete Dividende sei nicht möglich. Insbesondere sei der Verweis auf § 45a Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 bzw. Satz 2 Halbs. 2 EStG (VZ 2007–2008 und 2009–2011) insoweit "unbehilflich", als die Bescheinigung systematisch der Frage der Erhebung nachgelagert sei. Jeder Bescheinigung müsse ein entsprechender Einbehalt vorangegangen sein; "gleich ob (erstmalig) auf die Dividendenausschüttung oder (nachfolgend) auf eine Dividendenkompensationszahlung".[12]

Auch die Zahlung des Bruttokaufpreises bei gleichzeitigem Erhalt der bloßen Nettodividenden entfalte als ein von der Dividendenkompensationszahlung getrennter Zahlungsvorgang keine steuerliche Wirkung. Schließlich sei auch die Kenntnis des Leerkäufers für die steuerliche Bewertung des Erhebens ohne Bedeutung, da die Erhebung allein an einen objektiven Sachverhalt anknüpfe. Diese Argumentation wird auch in den weiteren Entscheidungen des LG Bonn[13] hervorgehoben. Der Steuerabzug sichere den jeweiligen Steuerbetrag und mache die spätere Anrechnung von einer näheren Prüfung der Anrechnungsvoraussetzungen abhängig; die Anrechnung setzte indes stets voraus, dass die betroffene Steuer tatsächlich einb...

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