Ex-Banker wegen „Cum-Ex"-Deals zu 5 ½ Jahren Haft verurteilt

Systematischer Betrug am Fiskus und damit an allen Steuerzahlern. Ein Betrugskartell von Banken und Börsenhändlern zum Nachteil der Steuerbehörden. Zum ersten Mal hat nun eine Strafkammer einen der Beteiligten, den ehemaligen Generalbevollmächtigten der Hamburger Privatbank „M.M. Warburg“, zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Die von den Staatsanwälten erhobenen schweren Vorwürfe gegen die Banken betreffen die vielfach praktizierte Mehrfacherstattung von Kapitalertragsteuer, obwohl diese nur einmal an den Fiskus entrichtet wurde. 

Die äußerst komplexen Deals liefen seit den achtziger Jahren und wurden erst im Jahre 2012 weitgehend gestoppt. Den staatlichen Stellen und auch dem Bundesfinanzminister waren die Geschäfte spätestens seit den neunziger Jahren bekannt. Das Strafverfahren gegen den Hamburger Ex-Banker, der u.a. von dem ehemaligen BGH-Richter Thomas Fischer verteidigt wurde, endete schneller als erwartet. Der 67-jährige Angeklagte ist inzwischen Rentner und soll zum Zeitpunkt der Cum-Ex-Deals die rechte Hand des seinerzeitigen Chefs der Warburg-Bank gewesen sein.

Vorwurf der mehrfachen Steuerhinterziehung durch Cum-Ex-Deals

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten 13 Fälle von Steuerhinterziehung in den Jahren 2006-2013 vorgeworfen. Durch diverse Unterschriften habe der Angeklagte an der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen mitgewirkt und damit die mehrfache Rückzahlung von Kapitalertragsteuern veranlasst, die zuvor nur einmal gezahlt worden waren. Die Verteidigung hat bis zum Schluss darauf plädiert, der Angeklagte habe zu keinem Zeitpunkt erkannt, an welcher Art von Geschäften er mitgewirkt habe und damit keinen Vorsatz gehabt.

Gigantischer Schaden von ca. 10 Milliarden EUR

Der Bankenverband hatte bereits im Jahr 2002 auf die Geschäftspraxis hingewiesen. Inzwischen wird gegen mehr als 1.000 Beschuldigte deutschlandweit ermittelt. Finanzexperten schätzen den entstandenen Schaden des Fiskus und damit der Allgemeinheit durch Cum-Ex-Geschäfte auf ca. 10 Milliarden EUR.

Politik hat lange zugeschaut

Trotz Kenntnis dieser Praxis seitens der Politik kam es zu einem endgültigen Stopp für diese Geschäftspraxis erst im Jahr 2012. Strafrechtliche Verurteilungen sind wegen der Komplexität der Materie bisher trotz der vielen Ermittlungsverfahren eher die Ausnahme. Zu einer Verurteilung zu einer Haftstrafe ohne Bewährung kam es beim LG Bonn jetzt zum ersten Mal.

Londoner Investmentbanker haben vor Gericht ausgepackt

Zuvor kam es bereits im März 2020 - ebenfalls beim LG Bonn - zu einer Verurteilung zweier Londoner Investmentbanker. Auch hierbei ging es um die Cum-Ex-Geschäfte der M.M. Warburg. Die verhängten Haftstrafen wurden seinerzeit zur Bewährung ausgesetzt. Einer der Angeklagten muss zusätzlich 14 Millionen EUR an Steuerschulden zurückzahlen. Außerdem wurde die Warburg-Bank als Einziehungsbeteiligte zur Zahlung von 176 Millionen EUR aufgefordert. Das LG hatte die vergleichsweise milden Strafen gegenüber den Angeklagten damit begründet, dass die beiden Angeklagten durch ihre freiwilligen Aussagen für die Staatsanwaltschaft überhaupt ist die Möglichkeit zu ihren umfassenden Ermittlungen eröffnet und damit die Ermittlungen gegen weitere maßgebliche Cum-Ex Akteure erst ermöglicht hätten.

Keine Zweifel am Straftatbestand der Steuerhinterziehung

Schon in seinem damaligen Urteil hatte das LG Bonn keinen Zweifel daran, dass die Cum-Ex-Deals den Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO erfüllen. So hatten die damaligen ebenso wie der jetzt verurteilte Angeklagte Körperschaftsteuererklärungen der Einziehungsbeteiligten unterzeichnet bzw. hatten nach der Bewertung des Gerichts dazu Hilfe geleistet, beim Fiskus die überhöhten Steuererstattungen zu beantragen. Die abgegebenen Körperschaftsteuererklärungen waren nach Auffassung des LG unrichtig, da sie unvollständige und unrichtige Angaben zu steuerlich erheblich Tatsachen enthielten, insbesondere hinsichtlich der Belastung mit Kapitalertragsteuer und auch dem Solidaritätszuschlag (LG Bonn, Urteil v. 18.3.2020, 62 KLs 1/19).

Straftaten nicht verjährt

Die Verurteilung der Akteure ist nach Auffassung des LG auch nicht gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB durch Verfolgungsverjährung ausgeschlossen, denn die zehnjährige Verjährungsfrist hat nach der Bewertung des LG frühestens im Jahr 2009 zu laufen begonnen, da keine Tat zu einem früheren Zeitpunkt beendet gewesen sei. Bereits im Jahr 2015 und 2016 seien verjährungsunterbrechende Maßnahmen gemäß § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 StGB eingeleitet worden.

BGH verhandelt am 15.6.2021 über die Revision: Straftat oder Schlupfloch?

Die Warburg-Bank hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Am 15.6.2021 verhandelt der BGH über deren Revision. Die Entscheidung wird deshalb mit besonderer Spannung erwartet, weil bis heute juristisch umstritten ist, ob Cum-Ex-Geschäfte strafrechtlich relevant sind oder ob die Beteiligten lediglich ein steuerliches Schlupfloch - nach Selbsteinschätzung der Cum-Ex-Akteure nicht in krimineller, sondern lediglich in listiger Weise - ausgenutzt haben. Sollte der BGH die grundsätzliche Strafbarkeit der Cum-Ex-Deals bestätigen, dürften auf einige Cum-Ex-Akteure – Banken wie auch handelnde Personen - noch harte Prozesstage warten.

Warburg-Bank hält Urteil für juristisch verfehlt

Die M.M.-Warburg hat Stellung bezogen und kritisiert das Urteil als juristisch verfehlt. Das Gericht habe die vorrangige Verantwortung der inländischen Depotbanken und Initiatoren der Geschäfte nicht hinreichend berücksichtigt. Die Warburg-Bank hatte im Jahr 2020 zwar die Rückforderung des Finanzamtes im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal erfüllt, hierbei allerdings den Standpunkt vertreten, die Nachforderungen seien rechtlich nicht gerechtfertigt

(LG Bonn, Urteil v. 1.6.2021, 62 KLs 1/20)

Der Cum-Ex-„Betrug“– Was genau ist passiert?

Die Geschäfte wurden von den einzelnen Banken in unterschiedlicher Weise praktiziert. Ausgenutzt wurde dabei der Grundsatz, dass bei Aktiendeals die auf Dividendenerlöse gezahlte Kapitalertragsteuer auf entsprechenden Antrag vom Finanzamt erstattet wird.

  • Der Trick der Banken und Aktienhändler beruhte in der Regel darauf, dass Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenansprüche zunächst über Leerverkäufe veräußert wurden, d.h. der jeweilige Verkäufer der Aktie war noch nicht in deren Besitz.
  • In einigen Fällen wurden diese Verkäufe mehrfach in kurzen zeitlichen Abfolgen rund um den Dividendenstichtag wiederholt.
  • Je nach Geschäftsmodell wurden die Aktien zwischen den verschiedenen Akteuren (Banken, Investoren, Investmentfonds) mehrfach hin und her geschoben.
  • Später ist hierzu noch die Variante der „Cum/Cum-Geschäfte“ hinzugetreten.

Eine Aktie hatte verschiedene "Eigentümer"

Die Leerverkäufer betrachten sich in diesen Fällen steuerrechtlich als wirtschaftliche Eigentümer der Aktien. Obwohl nur einmal gezahlt, wurde von den verschiedenen „Eigentümern“ dann auf deren Antrag vom Fiskus die Bescheinigung über die Abführung der Kapitalertragsteuer ausgestellt.

  • Diese ließen sich darauf einzeln die Kapitalertragsteuer vom Fiskus erstatten, obwohl dieser die Steuer nur einmal erhalten hat.
  • Die hierdurch erlangten „Gewinne“ teilten die Beteiligten dann unter sich auf.

Banken berufen sich auf die Rechtsprechung des BFH

Die rechtliche Beurteilung dieser Vorgänge ist nicht ganz einfach. Die Geschäfte beruhen auf der Ausnutzung einer Gesetzeslücke.

  • Noch im Jahre 2007 hat der BFH dieses auch „Dividendenstripping“ genannte Verfahren unbeanstandet gelassen und das wirtschaftliche Eigentum des Leerverkäufers an der Aktie bestätigt (BFH, Beschluss v. 20.11.2007, I R 29/05).
  • Diese Einstufung als wirtschaftliches Eigentum hat der BFH in einem weiteren Urteil - allerdings erst im Jahr 2014 - wieder revidiert (BFH, Urteil v. 16.4.2014, IR  2/12). 

Viele Unklarheiten bei der rechtlichen Bewertung

Die Rechtsprechung des BFH und die formalgesetzlich mögliche Mehrfachbeantragung der Bescheinigung über die Abführung der Kapitalertragsteuer führt zu erheblichen Unsicherheiten in der strafrechtlichen Bewertung der Vorgänge.

  • Die StA - wie auch das LG Bonn in seinen Entscheidungen - stehen auf dem Standpunkt, dass die Beantragung der Steuererstattung konkludent die Erklärung enthält, dass die Kapitalertragsteuer zuvor vom jeweiligen Antragsteller auch abgeführt wurde.
  • Die Beantragung von Mehrfacherstattungen sei daher rechtlich immer als Betrug gegenüber dem Fiskus zu werten.

Juristisch unumstritten ist diese Ansicht infolge der steuerrechtlich unklaren Regelungen nicht. Einige Banken reklamieren darüber hinaus für sich, dass Rechtsanwälte in ihrem Auftrag vor Durchführung der Geschäfte bereits Gutachten erstellt und die Geschäfte als legal eingestuft hätten. Viele Banken berufen sich vor dem Hintergrund vorab eingeholter Gutachten auf einen möglichen Verbotsirrtum.

Geldscheine euro

Gigantische 10 Milliarden Euro Schaden

Die Ermittlungen der StA haben inzwischen weit über 1.000 Verdachtsfälle zutage gebracht. Hierdurch ist der Staat um ca. 10 Milliarden Euro geprellt worden. Die Ermittlungen sind noch lange nicht beendet. Die StA Köln will hart bleiben:

  • Kooperationsbereitschaft und Schadenswiedergutmachung soll laut Staatsanwaltschaft mit Nachsicht bei der Strafverfolgung belohnt werden.
  • Umgekehrt sollen die Banken, die bei der Aufklärung weiter mauern, entsprechend hart angefasst werden.

Nach Aussage der Kölner StA gibt es nur eine Devise für die Banken: „Hose runter lassen, und zwar bis zu den Knöcheln“. Wie es tatsächlich weitergeht, dürfte ganz wesentlich von dem zu erwartenden Urteil des BGH im Fall der Warburg-Bank abhängig sein.

Bereits 2,4 Milliarden Euro erfolgreich zurückgefordert

Laut eigener Auskunft der StA wurden inzwischen im Rahmen der Ermittlungen bereits deutschlandweit 2,4 Milliarden Euro erfolgreich zurückgefordert. So hatte die HypoVereinsbank ihr Fehlverhalten bereits vor längerer Zeit eingeräumt und freiwillig ihre Geschäftsunterlagen der StA zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt. Die HypoVereinsbank kam damals mit einem Bußgeld von 9,8 Millionen Euro glimpflich davon. In Hessen hat es die Verwaltung laut Hessens Finanzminister Thomas Schäfer geschafft, 770 Millionen der durch diese Geschäfte entgangenen Steuer dem Staat wieder zurückzuführen. Hierbei seien einige Banken in die Haftung genommen worden. Allein in Hessen schätzt der Finanzminister den Schaden durch „Cum-Ex-Geschäfte“ auf rund 1,3 Milliarden Euro.

Untersuchungsausschuss ohne klare Ergebnisse

Nach Auffassung des finanzpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion im Bundestag Gerhard Schick ist der Schaden deutlich höher als bisher von der StA errechnet. Rechne man die nicht aufgeklärten Fälle aus früheren Jahren hinzu, die bereits verjährt sind, so sei deutschlandweit ein höherer zweistelliger Milliardenbetrag als Schaden anzusetzen. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags ist erwartungsgemäß zu keiner einheitlichen Schlussfolgerung gelangt.

Hintergrund: Auch für den Gesetzgeber selbst bedeutet die Angelegenheit nicht unbedingt eine Glanzleistung. Spätestens seit 2009 war dem Gesetzgeber die Gesetzeslücke bekannt. Geschehen ist aber zunächst nichts. Der Gesetzgeber ließ eine Übererstattung von Kapitalertragsteuern in Milliardenhöhe mindestens drei Jahre lang durchgehen.

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Schlagworte zum Thema:  Compliance, Steuerhinterziehung, Aktien