Rz. 99

[Autor/Stand] Nicht selbstverständlich ist es, dass die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme auch bei § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO nach den für Nr. 1 entwickelten Kriterien (s. Rz. 95 ff.) durchgeführt wird. Denn bei § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO handelt es sich um Sonderdelikte (s. Rz. 87), die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Täter entgegen einer besonderen Pflichtenstellung untätig bleibt. Deshalb wird teilweise vertreten, dass insofern nicht die Herrschaft über die Handlung für die Qualifikation als Täter entscheidend sei, sondern die Verletzung der dem Täter obliegenden Pflicht (Pflichtdelikte)[2]. Anders als bei den Handlungsdelikten, bei denen der Gesetzgeber durch die möglichst genaue Schilderung der Handlung das strafbare Verhalten umschreibe, sei hier entscheidend, dass "jemand gegen die Leistungsanforderungen einer von ihm übernommenen sozialen Rolle verstößt"[3]. In solchen Fällen soll bei mehreren Beteiligten derjenige zentrale Gestalt des Geschehens sein, der die ihn treffende Pflicht verletzt und auf diese Weise durch Tun oder Unterlassen zum Erfolg beiträgt[4].

Bedeutung hat diese Auffassung vor allem dann, wenn eine Person den tatbestandlichen Erfolg durch aktives Tun herbeiführt, während die andere es pflichtwidrig unterlässt, den Erfolgseintritt zu verhindern.

 

Beispiel

Der Stpfl. erkennt, dass der von ihm beauftragte Steuerberater (absichtlich, bedingt vorsätzlich, leichtfertig, fahrlässig oder ohne Sorgfaltsverstoß) unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen des Stpfl. gemacht hat, die ohne Berichtigung zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung führen werden.

Nach der Pflichtdeliktstheorie ist der Stpfl. seinerseits Täter, wenn er pflichtwidrig die FinB über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch der Erfolg eintritt. Diese Pflicht wird nicht dadurch suspendiert, dass er einen Steuerberater mit der Wahrnehmung seiner Angelegenheiten beauftragt hat. Nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist vielmehr der Stpfl. zur Berichtigung von Erklärungen verpflichtet, wenn er erkennt, dass eine für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Steuerverkürzung kommen kann[5]. Es geht allein um die Berichtigung der unrichtigen Angaben; deshalb ist unerheblich, ob der Steuerberater seinerseits eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat oder nicht.

 

Rz. 100

[Autor/Stand] Die wohl h.M. in der Literatur würde hingegen auch hier die Tatherrschaftslehre anwenden und jedenfalls i.d.R. den "nur" Unterlassenden als Gehilfen, den vorsätzlich aktiv Handelnden hingegen als Täter ansehen[7]. Andere wiederum würden nach der Art der Pflichtenstellung differenzieren[8]. Die Rspr. sieht in dieser Konstellation (bei allerdings mit § 370 Abs. 1 AO kaum vergleichbaren Tatbeständen) den Täterwillen als entscheidend an[9] (s. Rz. 96 ff.).

 

Rz. 101

[Autor/Stand] Ein wirklicher, grundsätzlicher Gegensatz beider Theorieansätze besteht allerdings gar nicht. Denn auch dann, wenn man der Pflichtdeliktstheorie folgt, ist neben der Verletzung der vor-tatbestandlichen Pflicht zwingend vorausgesetzt, dass der Täter kausal für die Erfolgsherbeiführung ist und ihm die Steuerverkürzung zugerechnet werden kann[11]. Das aber bedeutet, dass der Täter faktisch überhaupt in der Lage sein muss, den Erfolgseintritt zu verhindern, den der andere durch seine falschen Angaben herbeiführen würde. Ist das der Fall, spricht alles dafür, den Unterlassenden als Täter anzusehen, wenn ihm gerade die Pflicht obliegt, den Erfolg zu verhindern. Er ist dann neben dem handelnden Täter ebenfalls Täter, weil auch ihm die Herrschaft über die Herbeiführung des Erfolgs zukommt[12]. Genauso ist derjenige Täter einer Freiheitsberaubung durch Unterlassen, der pflichtwidrig die von einem Dritten eingesperrte Person nicht befreit.

Es geht also nicht darum, dass der Stpfl. eine Straftat seines Steuerberaters zu verhindern hätte, sondern allein um die Verhinderung des Verkürzungserfolgs oder der Gewährung des nicht gerechtfertigten Steuervorteils (s. Rz. 99). Der Erfolg kann dabei durch eigene Angaben ohne weiteres verhindert werden. Deshalb wird auch bei § 266 StGB jeder Vermögensbetreuungspflichtige als Täter angesehen, der seine Pflicht verletzt, die Schadensherbeiführung zu verhindern, unabhängig davon, wer ansonsten zur Erfolgsvermeidung in der Lage ist[13].

Insbesondere bedarf es zur Begründung der Täterschaft keiner Zurechnung des aktiven Verhaltens des anderen Täters an den Unterlassungstäter (s. Rz. 83). Deshalb ist in dem genannten Beispiel der Stpfl. nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO unabhängig davon strafbar, ob der Steuerberater vorsätzlich, leichtfertig oder ohne jedes Verschulden falsche Angaben macht. Zum gleichen Ergebnis kommen diejenigen, die den Unterlassenden als Beschützergarant zugunsten des staatlichen Vermögens (s. Rz. 100) ansehen[14].

 

Rz. 102

[Autor/Stand] Dieses Ergebnis ändert sich nicht, wenn die zur Abgabe der steuerlich erheblichen Angaben verpflichtete Person nicht...

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