Leitsatz

Die bestandskräftige Festsetzung der angemeldeten und selbst berechneten Getreide-Mitverantwortungsabgabe für Getreidelieferungen in den Beitrittsländern vor dem 3.10.1990 schließt einen Anspruch auf Erstattung der Abgabe aus, obwohl deren Erhebung rechtswidrig war.

 

Normenkette

§ 37 Abs. 2 AO , § 45 Abs. 1 Satz 1 AO , § 150 Abs. 1 Satz 2 AO , § 164 Abs. 3 AO , § 168 AO , § 218 Abs. 2 Satz 2 AO , § 812 BGB , § 3 Abs. 1 GetrMVAV , § 4 Abs. 1 GetrMVAV

 

Sachverhalt

Die klagende LPG hatte in der Zeit vom 1.7.1990 – 2.10.1990 Getreide an einen Händler geliefert. Dieser gab Anfang 1991 wegen dieser Lieferungen eine Anmeldung über die seiner Ansicht nach zulasten der LPG entstandene Getreide-Mitverantwortungsabgabe beim HZA ab, behielt die Abgabe vom der LPG geschuldeten Kaufpreis ein und führte sie an die Bundeskasse ab.

1996 hat der BFH die Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Getreide-Mitverantwortungsabgabe in der DDR für nichtig erklärt. Die inzwischen in eine GmbH umgewandelte LPG begehrte daraufhin die Erstattung der von ihr gezahlten Mitverantwortungsabgabe.

 

Entscheidung

Der BFH hat einen Erstattungsanspruch verneint. Die Zahlung sei nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt und könne daher nicht zurückgefordert werden. Die Abgabe habe aufgrund der Getreide-Mitverantwortungsabgabe-Verordnung der BRD angemeldet werden müssen. Diese Verordnung habe 1991 auch im Gebiet der ehemaligen DDR gegolten und sei auf nach dem Recht der DDR (vermeintlich) entstandene Getreide-Mitverantwortungsabgaben, als das zu diesem Zeitpunkt maßgebliche Verfahrensrecht ebenso wie das Marktordnungsgesetz selbst, entsprechend anzuwenden.

Die abgegebene Anmeldung habe Festsetzungswirkung. Der von der LPG-Rechtsnachfolgerin gegen sie zunächst eingelegte Rechtsbehelf sei zurückgenommen, der VdN der Anmeldung vom HZA aufgehoben worden. Die Anmeldung sei nicht nichtig; aus der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift der DDR, welche die (vermeintliche) materielle Grundlage für die Erhebung der Abgabe gebildet habe, folge nicht die Nichtigkeit der diesbezüglichen Abgabeanmeldung. Diese bilde somit den Rechtsgrund der Zahlung; auf das Fehlen einer materiell-rechtlichen Grundlage für die Zahlung komme es folglich nicht an.

 

Hinweis

1. Rechtsgrundlage für die Erstattung von Abgaben ist § 37 Abs. 2 – (nicht § 812 BGB). Es entscheidet das FA bzw. HZA durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 2 –. Diese Vorschriften wendet der BFH aufgrund der Verweisung im Marktordnungsgesetz, das an sich nur für die Durchführung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft gilt, auch auf von der DDR geregelte (den Marktordnungsabgaben der Gemeinschaft nachgebildete) Marktordnungsabgaben an, soweit deren Erhebung oder Erstattung nach dem 3.10.1990 noch abgewickelt werden muss.

2. Ist das Marktordnungsgesetz auf DDR-Marktordnungsabgaben anzuwenden, wie der BFH bereits früher entschieden hat (Urteil vom 7.2.2002, VII R 33/01, BFH-PR 2002, 239), liegt es mehr als nahe, dasselbe mit den zur Durchführung von Marktordnungsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft erlassenen Rechtsverordnungen zu tun. So hat es der BFH mit der Getreide-Mitverantwortungsabgaben-Verordnung (GetrMVAV) getan. Diese schreibt die Anmeldung der Getreide-Mitverantwortungsabgaben vor. Folglich sind nach dem Beitritt noch "offene" Getreide-Mitverantwortungsabgaben der DDR anzumelden.

3. Eine Abgabeanmeldung, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtung abgegeben wird, steht nach § 168 Satz 1 – einer Steuerfestsetzung unter dem VdN gleich. Sie kann deshalb von dem Abgabeschuldner angefochten werden. Andernfalls bildet sie den Rechtsgrund für die Zahlung der betreffenden Abgabe. Sie schließt also einen Erstattungsanspruch auch dann aus, wenn die Abgabe materiell-rechtlich gar nicht geschuldet wird (und die abgegebene Anmeldung so gesehen unrichtig war).

4. Beachten Sie, dass ungeachtet des Streits zwischen den Anhängern der sog. materiellen Rechtsgrundtheorie (Entstehung eines Erstattungsanspruchs, wenn etwas gezahlt wird, was nach materiellem Recht nicht geschuldet wird) und der sog. formellen Rechtsgrundtheorie (Entstehung erst dann, wenn die unrichtige Festsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis geändert worden ist), unstreitig ist, dass ein Erstattungsanspruch immer erst dann durchgesetzt werden kann, wenn eine ihm entgegenstehende Steuerfestsetzung geändert worden ist. Eine solche entgegenstehende Festsetzung kann selbstredend auch eine Abgabeanmeldung sein.

5. Beachten Sie ferner, dass inhaltlich (materiell-rechtlich) unrichtige Abgabeanmeldungen nur unter den gleichen engen Voraussetzungen nichtig sind wie Steuerbescheide (siehe § 125 Abs. 1 AO). Sie sind im Regelfall nicht etwa schon deshalb nichtig, weil die Anmeldung bzw. der Verwaltungsakt keine materiell-rechtliche Grundlage hat.

6. Eine andere Frage ist, ob eine ohne gesetzliche (verfahrensrechtliche) Verpflichtung abgegebene Abgabeanmeldung Festsetzungswirkung hat (oder nicht vielmehr eine schlichte Wissenserklärung i.S. einer Steuer...

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