Leitsatz

Im Jahr 2015 bestand hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch bei sog. bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit.

 

Normenkette

§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, Art. 3 Abs. 1 GG, § 41 Abs. 1 und 2 FGO, § 137, §§ 140 ff., § 146b, §§ 147 ff., § 193 Abs. 1 AO, § 19, § 22, § 27b UStG, § 30a AO a.F.

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, nutzte in den von ihr geführten Gastronomiebetrieben bereits im Streitjahr 2015 elektronische Registrierkassen. Ihrer Ansicht nach verursachte die fehlende gesetzliche Verpflichtung zur Führung einer elektronischen Kasse ein strukturelles Vollzugsdefizit, das sie in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzte. Das FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.6.2018, 8 K 501/17, Haufe-Index 12954992, EFG 2019, 173) wies die Klage, mit der die Klägerin letztlich die Feststellung eines strukturellen Vollzugsdefizits durch das BVerfG begehrte, ab.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision aus den dargelegten Gründen zurück.

 

Hinweis

1. Im Streitjahr 2015 bestand noch keine Pflicht zur Führung einer elektronischen Registrierkasse. Im Bereich der Gastronomie, der zu den sog. bargeldintensiven Bereichen gehört, wurden daher vielfach noch sog. offene Ladenkassen geführt. Diese bieten mehr Manipulationsmöglichkeiten als elektronische Registrierkassen. Streitig war, ob die fehlende gesetzliche Verpflichtung zur Führung einer elektronischen Kasse ein strukturelles Vollzugsdefizit auf Erhebungsebene verursacht und deshalb verfassungswidrig ist.

2. Nach dem Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug begründet eine in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregel im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm deren Verfassungswidrigkeit. Strukturell gegenläufig wirken sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Eine solche strukturell gegenläufige, dem Gesetzgeber zuzurechnende Erhebungsregelung hat das BVerfG bislang nur in seinem Urteil vom 27.6.1991, 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) zur Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung im sog. Bankenerlass 1979 und in seinem Urteil vom 9.3.2004, 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) zur Verfassungswidrigkeit von Spekulationsgeschäften in § 30a AO a.F. gesehen.

3. Ein strukturelles Vollzugsdefizit stellt eine ganz außergewöhnliche Rechtsfolge mangelnder Effektivität des Rechts dar. Nach Ansicht des BFH bestand im Jahr 2015 hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch bei sog. bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse kein zur Verfassungswidrigkeit führendes strukturelles Vollzugsdefizit. Vielmehr lag eine normative Gestaltung vor, die gerade auf die Durchsetzung der pflichtbegründenden Steuernorm abzielt. Es bestand selbst für Betreiber einer offenen Ladenkasse ein angemessenes Entdeckungsrisiko bei Manipulationen. Ein etwa gleichwohl bestehendes Vollzugsdefizit lag jedenfalls allein im Tatsächlichen und ist dem Gesetzgeber nicht zuzurechnen. Dies entbindet den Gesetzgeber allerdings nicht von seiner generell bestehenden Beobachtungs- und etwaigen Nachbesserungspflicht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 16.9.2021 – IV R 34/18

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