Die geänderte Rechtsprechung ist im Ergebnis methodisch nachvollziehbar.

Historische Auslegung: Die historische Auslegung zur Entwicklung der Besteuerung von Aufsichtsratsvergütungen lässt sich nicht gegen die Auslegung des Selbständigkeitsbegriffs in der Form der Auslegung von EuGH und BFH anführen. Zwar existierte mit § 2 Nr. 7 UStG 1918 ursprünglich eine Steuerbefreiung für Aufsichtsratsmitglieder, die der Vermeidung einer Doppelbesteuerung dienen sollte. Diese Steuerbefreiung war allerdings bereits vor der europäischen Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer aufgehoben worden, so dass sich aus der Streichung der Steuerbefreiung kein Rückschluss auf den maßgeblichen Willen des Unionsgesetzgebers ableiten lässt.[5] Es lässt sich daher nicht argumentieren, dass der Gesetzgeber eine Steuerbarkeit und -pflicht von Aufsichtsratsmitgliedern wollte. Erst recht lässt sich nicht behaupten, dass der Gesetzgeber dies unabhängig von den Bedingungen der Betätigung des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds wollte.

Systematik: Auch systematisch steht einer Auslegung, wonach ein Aufsichtsratsmitglied nicht zwingend selbständig im umsatzsteuerrechtlichen Sinne ist, nichts entgegen. § 3a Abs. 4 S. 2 Nr. 3 UStG enthält zwar eine Aussage zur Bestimmung des Leistungsortes, wenn und soweit ein Aufsichtsratsmitglied als umsatzsteuerrechtlicher Unternehmer zu beurteilen ist und dessen Leistungen von einer nicht unternehmerisch tätigen Person mit Sitz im Drittland empfangen werden. Die Regelung unterstellt somit, dass Aufsichtsratsvergütungen der Umsatzbesteuerung unterfallen können, sonst käme ihr kein Anwendungsbereich zu. Die Einschlägigkeit von § 3a Abs. 4 S. 2 Nr. 3 UStG wiederum ist jedoch eine Frage des Einzelfalls. Der Regelung lässt sich nicht die Aussage entnehmen, dass ein Aufsichtsratsmitglied stets als umsatzsteuerrechtlicher Unternehmer einzuordnen ist. Darüber hinaus enthält die unionsrechtliche Grundlage der genannten Vorschrift selbst gar keine Aussage zu Aufsichtsräten. Der insoweit maßgebliche Art. 59 Buchst. c MwStSystRL lautet wie folgt:

„Als Ort der folgenden Dienstleistungen an einen Nichtsteuerpflichtigen, der außerhalb der Gemeinschaft ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort außerhalb der Gemeinschaft hat, gilt der Ort, an dem dieser Nichtsteuerpflichtige ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat:

[...]

c) Dienstleistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstige ähnliche Dienstleistungen[6]sowie die Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen;”

Ersichtlich kann aus dieser Regelung keinerlei Vorgabe zum Umgang mit Aufsichtsratstätigkeiten abgeleitet werden.

Nicht unbedingt methodisch nachvollziehbar erscheint die Herleitung, dass nunmehr die Art und Weise der Vergütung, also des Entgelts, die Unternehmereigenschaft einer Person zu begründen vermag. Für den EuGH und BFH ist dies wohl entscheidend für die Frage, ob ein wirtschaftliches Risiko vom vermeintlich Steuerpflichtigen getragen wird. Nichtsdestotrotz werden hier verschiedene Merkmale zur Ermittlung, ob ein steuerbarer Umsatz vorliegt, miteinander vermengt. Da das Abstellen auf die Art und Weise der Vergütung als Einordnungskriterium bereits vielfach kritisch in der Literatur aufgegriffen und methodisch ausgewertet wurde,[7] soll an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden.

[5] Beachte aber den Hinweis von Vobbe/Stelzer, DStR 2020, 1089 (1093) auf die Protokollerklärung des Rates und der Kommission zu Art. 4, wonach es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, ob und inwieweit sie Leistungen von Aufsichtsratsmitgliedern besteuern. Protokollerklärungen sind allerdings vorrangig Interpretationshilfen, keine Rechtsgrundlagen (s. hierzu, EuGH, Urt. v. 8.6.2000 – C-375/98 – Epson Europe BV, IStR 2000, 562 Rz. 26), so dass bezweifelt werden darf, dass allein hierauf abgestellt werden kann.
[6] Hervorhebung durch die Verfasserin.
[7] Ähnlich kritisch: Vobbe/Stelzer, DStR 2020, 1089 (1095); v. Wallis, WpG 2020, 858 (862 f.).

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