Frage:

Derzeit führe ich einen Finanzgerichtsprozess wegen der Mehrsteuern aufgrund einer bei einem Mandanten durchgeführten Betriebsprüfung. Dabei ist es zweckdienlich, die in Papierform geführten Gerichts- und Finanzamtsakten – und hier insbesondere die Prüferhandakte – einzusehen.

Nach meiner Kenntnis hat der BFH in letzter Zeit seine bekannte, sehr zurückhaltende Rechtsprechung zur Akteneinsicht fortgesetzt. Seiner Ansicht nach gewährt § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO grundsätzlich nur ein Einsichtsrecht beim FG oder in anderen Diensträumen. Zwar kann die Akteneinsicht nach § 78 Abs. 3 Satz 2 AO auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf gewährt werden, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Allerdings ergibt sich hieraus – soweit ersichtlich – keine Verpflichtung des Gerichts, die Papierakte in eine elektronische Akte zu überführen, um eine solche Akteneinsicht zu ermöglichen.

Müssten in Zeiten der Corona-Pandemie nicht andere Regeln gelten? Meiner Ansicht nach dürfte derzeit eine Akteneinsicht bei der Finanzbehörde oder dem FG weder dem Steuerpflichtigen (bzw. seinem Prozessbevollmächtigten) noch dem Finanzbeamten (bzw. den Finanzrichtern) zuzumuten sein.

Antwort:

In der Tat: Das FG Hamburg hat sich aktuell mit dieser Thematik befasst und entschieden, dass die Möglichkeit der Akteneinsicht in die dem Gericht vorliegenden Papierakten in Pandemiezeiten durch Übersendung der Akten in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten zu realisieren ist (FG Hamburg, Beschluss v. 1.2.2021, 4 K 136/20). Dabei hat das FG seine Entscheidung folgendermaßen ­begründet:

Die Vorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO gewährt den Beteiligten eines finanzgerichtlichen Verfahrens ein umfassendes Recht auf Akteneinsicht als wesentlichen Bestandteil des in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das Recht auf Akteneinsicht dient darüber hinaus der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie der "Waffengleichheit" der Beteiligten, da nur durch die umfassende Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Akteninhalt den Beteiligten – namentlich dem Kläger bzw. dessen Prozessbevollmächtigten – eine effektive Rechtsverfolgung ermöglicht wird.

Wird die Prozessakte (noch) in Papierform geführt, bestimmt § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO, dass die Akteneinsicht (grundsätzlich) durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt wird. Diensträume i. S. d. § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO sind neben den Räumlichkeiten des Gerichts alle Räume, die vorübergehend oder dauernd dem öffentlichen Dienst zur Ausübung dienstlicher Tätigkeiten dienen und über die ein Träger öffentlicher Gewalt das Hausrecht ausübt, mithin auch Räumlichkeiten anderer Gerichte oder Behörden. Die Kanzleiräume eines Prozessbevollmächtigten sind dagegen keine Diensträume im Sinne dieser Vorschrift.

Es ist indes allgemein anerkannt, dass eine Akteneinsicht außerhalb von Diensträumen nicht generell ausgeschlossen und im Einzelfall auch eine Übersendung der Akten in die Kanzleiräume eines Prozessbevollmächtigten möglich ist.

Die Entscheidung, Akteneinsicht außerhalb von Diensträumen zu gewähren, ist eine am Einzelfall auszurichtende Ermessensentscheidung des Gerichts, welche die für und gegen eine Aktenversendung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen hat.

Im Rahmen dieses Abwägungsprozesses ist auch das vom Gesetzgeber vorgegebene Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen einer Einsichtnahme in die Akten in und außerhalb von Diensträumen zu beachten, was etwa zur Folge hat, dass bloße Unbequemlichkeiten, die mit einer Akteneinsicht in den Geschäftsräumen des Gerichts verbunden sind, keine Ausnahme von der Regel des § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO begründen können.

Die von der Rechtsprechung bislang zugelassenen Ausnahmen vom Grundsatz, dass Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen zu gewähren ist, rechtfertigten sich jeweils aus dem Anspruch des Prozessbevollmächtigten auf Gewährung rechtlichen Gehörs sowie aus der zu beachtenden Waffengleichheit der Beteiligten und dem damit umfassenden Rechtsschutz i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG.

Eine Einsichtnahme in die Akten in den Räumlichkeiten des Gerichts (oder des Finanzamts) ist vor dem Hintergrund des Infektionsgeschehens im Zusammenhang mit der Pandemie und dem in Hamburg mit der sog. Eindämmungsverordnung verfolgten gesetzgeberischen Anliegen, körperliche Kontakte zu anderen Personen als den Angehörigen des eigenen Haushalts auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren, bis auf Weiteres nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.

Den Prozessbevollmächtigten darauf zu verweisen, Akteneinsicht zu einem Zeitpunkt zu nehmen, wenn das Gericht eine Einsichtnahme in die Akten in seinen Räumlichkeiten wieder eröffnet, kommt schon mit Blick auf den ungewissen Zeitpunkt nicht in Betracht.

Da die Gerichte nach dem Willen der politisch Verantwortlichen ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabe der effektiven Rechtsschutzgewährleistung auch in Zeiten der Pandemie gerecht werden sollen, muss den Beteiligten eines fi...

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