Entscheidungsstichwort (Thema)

Meldeamtsanfrage als Voraussetzung für eine öffentliche Zustellung

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die öffentliche Zustellung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 VwZG ist wegen des Risikos, dass die Bekanntgabe nur fingiert wird und innerhalb der Einspruchsfrist tatsächlich keine Kenntnisnahme erfolgt nur als ultima ratio nach Ausschöpfung aller notwendigen Ermittlungsmaßnahmen zulässig.
  2. Vor einer öffentlichen Zustellung muss die Finanzbehörde zumindest eine Meldeamtabfrage vornehmen; eine Abfrage gemäß § 139b AO reicht insoweit nicht aus.
  3. Ist dem Finanzamt bekannt, dass die Gesellschaft, der zugestellt werden soll, keine empfangsberechtigten Personen mehr hatte, ist eine öffentlichen Zustellung unzulässig.
 

Normenkette

VwZG § 10 Abs. 1 Nr. 2; AO § 139b; EGAktG § 18 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

2009, 2010

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob den Antragstellern dadurch, dass sie das von ihrer Alleinaktionärin (A AG) einbezahlte Grundkapital unmittelbar nach Gründung wieder ausbezahlt haben, Zinsen entgangen sind und diese in den Streitjahren als verdeckten Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes) der Körperschaftsteuer unterliegen. Ferner streiten die Beteiligten darüber, ob die Körperschaftsteuerbescheide für 2000 bis 2007 durch öffentliche Zustellung wirksam bekannt gegeben wurden und ob die Einsprüche der Antragstellerinnen gegen die Körperschaftsteuerbescheide wegen gegebenenfalls unwirksame Bekanntgabe der Bescheide unzulässig sind.

Die A AG gründete im August 2000 mehrere so genannte Vorratsgesellschaften, darunter die Antragsteller. Die Gründung der Antragsteller erfolgte zu dem Zweck, die Antragsteller später an Dritte zu veräußern. Vor der Veräußerung war keine Aufnahme eines Geschäftsbetriebs beabsichtigt.

Die Satzungen der Antragsteller wurden am 22.08.2000 notariell beurkundet. Die A AG übernahm sämtliche Aktien der Antragsteller. Das satzungsmäßige Grundkapital der Antragsteller betrug jeweils 50.000 EUR.

Die Antragsteller behaupten, dass die A AG das Grundkapital an die „erste Vorratsgesellschaft” überwiesen hatte und das Grundkapital nach Abschluss des Grundaktes der ersten Vorratsgesellschaft sodann auf das Bankkonto der nächsten Vorratsgesellschaft zu deren Gründung weiter übertragen worden sei „usw.”.

Aus den Sonderbänden „Verträge” betreffend die Antragsteller ergeben sich folgende Vorgänge:

Am 21.08.2000 wurde zugunsten der Antragssteller auf einem der jeweiligen Antragstellerin gehörenden Konto bei der Bank 1 50.000 EUR gutgeschrieben. Die Bank 1 bestätigte der A AG für Zwecke der Vorlage beim Handelsregister ihre Überweisungen an die Antragsteller und den jeweils mit „Kapitaleinlage” angegebenen Verwendungszweck.

Am 04.09.2011 überwiesen die Antragsteller die einbezahlten Gelder an einen als „GmbH” bezeichneten Empfänger.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die an die Antragsteller bezahlten Mittel unmittelbar oder mittelbar wieder in den Verfügungsbereich der A AG gelangt sind.

Mit einem an die A AG gerichteten Schreiben vom 12.11.2002 erklärte Frau X (heute Frau XX) hinsichtlich sämtlicher Antragsteller: „hiermit lege ich mein Amt als Vorstand der vorbezeichneten Gesellschaften mit sofortiger Wirkung nieder. Da die Gesellschaften keinen Aufsichtsrat mehr haben, gebe ich die Erklärung Ihnen gegenüber in Ihrer Eigenschaft als Aktionär ab”.

Am 14.08.2008 rief der Antragsgegner die Handelsregistereintragungen der Antragstellerin zu Ziffer 7 ab. Zu diesem Zeitpunkt war keine Geschäftsanschrift der Antragstellerin zu Ziffer 7 in das Handelsregister eingetragen. Zu den übrigen Einzelheiten der damaligen Handelsregistereintragung wird auf den elektronischen Handelsregisterauszug auf Bl. des Sonderbands „Ermittlung Zustellung” verwiesen.

Ebenfalls am 14.08.2008 rief der Antragsgegner über RegisSTAR (registerauskunft.justiz.hessen.de) die so genannten Unternehmensträgerdaten der Antragstellerin zu Ziffer 7 ab. Dort ist als „Anschrift (ohne Gewähr)” angegeben: „Straße 1, Stadt 1”. Zum Inhalt der abgerufenen Unternehmensträgerdaten wird auf Bl. des Sonderbands „Ermittlung Zustellung” verwiesen.

Mit Schreiben vom 18.08.2008 versuchte der Antragsteller die Antragstellerin zu Ziffer 7 unter der Anschrift Straße 1, Stadt 1 anzuschreiben und um die Mitteilung zu bitten, wo und ob die Antragstellerin zu Ziffer 7 zur Körperschaftsteuer veranlagt werde. Der Brief kam mit dem Hinweis „Empfänger/Firma unter der angegeben Anschrift nicht zu ermitteln” zurück.

Mit Schreiben vom 16.10.2008 an zwei ehemalige Mitglieder des Aufsichtsrats der Antragstellerin zu Ziffer 7, Frau AR 1 und Herrn AR 2, wurde um Stellungnahme zur steuerlichen Veranlagung der Antragstellerin zu Ziffer 7 gebeten. Der Brief an Frau AR 1 kam mit dem Hinweis „Empfänger/Firma unter der angegeben Anschrift nicht zu ermitteln” zurück. Herr AR 2 teilte mit Schreiben vom 22.10.2008 mit, dass er „sein Vorstandsamt … bereits 2002, anlässlich meines Ausscheiden aus der A AG niedergelegt habe. Die Gese...

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